Moctar Kamara


Moctar Kamara lebt seit 1996 in Berlin. Der studierte Philosoph ist derzeit Vorsitzender des Zentralrats der afrikanischen Gemeinde in Deutschland und Initiator des jährlich in Berlin stattfindenden Gedenkmarsch zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt.

Moctar Kamara lebt seit 1996 in Berlin. Der studierte Philosoph ist derzeit Vorsitzender des Zentralrats der afrikanischen Gemeinde in Deutschland und Initiator des jährlich in Berlin stattfindenden Gedenkmarsch zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt.

Er setzt sich unter anderem für die Errichtung eines afrikanischen Denkmal in Berlin, die Rückführung der menschlichen Gebeine aus den ehemaligen deutschen Kolonien, Straßenumbenennungen und eine gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte ein.

„Die Konferenz der Aufteilung von Afrika in Berlin: Das lernt man in jeder Schule in Afrika. Und deswegen ist es symbolisch und wichtig, dass hier am Ort des Geschehens ein Denkmal entsteht zur Erinnerung an die Opfer von Versklavung und Kolonialismus.“

 - MOCTAR KAMARA

„Die Konferenz der Aufteilung von Afrika in Berlin: Das lernt man in jeder Schule in Afrika. Und deswegen ist es symbolisch und wichtig, dass hier am Ort des Geschehens ein Denkmal entsteht zur Erinnerung an die Opfer von Versklavung und Kolonialismus.“

 - MOCTAR KAMARA


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Ich finde das einfach eine Schande, dass in Berlin in diesem Jahrhundert solche “Schlösser” entstehen, die einfach irgendwie die Zeiten glorifizieren, die einfach nicht zu glorifizieren sind. Weil diese Zeiten sind mit Sklavenhandel verbunden und außerdem auch mit Kolonialismus – weil die Objekte, die dort sein sollen, diese Objekte sind einfach durch blutige Kolonialkriege in Deutschland gelandet. Zum Beispiel, wenn man von den Objekten aus Benin spricht, zum Beispiel. Jeder weiß wie die Engländer zu diesen Objekten gekommen sind. Nach dem sie das Königreich von Benin zerstört haben und alles geplündert haben, dann haben sie das in London verkauft und die Deutschen haben das erworben. Und solche Güter sind sehr problematisch.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Es ist so, dass die Opfer von diesen Genoziden Herero und Nama sind. Auch wenn Deutschland heute mit der namibischen Regierung verhandelt, kann es nicht sein, dass die Opfer außer Acht gelassen werden. Weil die sind Opfer, die wurden enteignet, die wurden vernichtet und Deutschland soll mit diesen Nachfahren dieser Opfer verhandeln und Reparationen zahlen. Weil es wurden fast 80 Prozent der Herero vernichtet und bis heute hat dieser Genozid noch seine Auswirkungen, weil die Herero und Nama sind die Ärmsten in Namibia – und sie haben ihr Land verloren. Was man auch nicht sagen möchte und will ist, dass auch die deutschen Kolonialisten, die sich in Namibia niedergelassen haben, weiterhin von den “Früchten” dieses Genozides profitieren und das ist nicht akzeptabel.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Das muss errichtet werden. Weil es ist so gewesen – Punkt 1: Was man vergisst ist, dass Deutschland am Sklavenhandel teilgenommen hat und man spricht natürlich heute nur von Brandenburg-Preußen. Eigentlich, wenn man richtig forscht, würde man wissen, dass Hamburg, weil es kann nicht sein, dass ein großer Hafen, wie der Hafen von Hamburg nicht beteiligt war, auch beteiligt war. Und vor Kurzem haben Forscher in der Schweiz herausgefunden, dass viele Reiche, Menschen, die heute sehr reich sind, vom Sklavenhandel profitiert haben. Auch Deutschland hat vom Sklavenhandel profitiert, Punkt 1. Und Punkt 2: Die Initiative der Berliner Konferenz. Bismarck hat alle Kolonialisten hier nach Deutschland eingeladen, um sich Afrika aufzuteilen. Und dann hatte Deutschland auch Kolonien in Afrika. Zum Glück war das nicht sehr lang, weil diese Zeit war sehr kurz. Aber in dieser kurzen Zeit gab es viele Genozide in Namibia und man darf auch den Maji Maji Aufstand in Tansania nicht vergessen. Und aus diesem Grund meinen wir, dass in Berlin ein Denkmal entstehen sollte und auch eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die Sklaverei und den Kolonialismus. Wir begründen das damit, dass Deutschland diese Initiative hatte. Jeder Afrikaner der zur Schule geht, wenn man von Berlin spricht, das erste was kommt ist „Die Konferenz der Aufteilung von Afrika in Berlin“. Das lernt man in jeder jeder jeder Schule in Afrika. Und deswegen ist es symbolisch und wichtig, dass hier am Ort des Geschehens ein Denkmal entsteht zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung und Kolonialismus.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Puh [seufzt schwer], ich kann nicht… Das ist kaum vorstellbar, dass man noch darauf besteht, diese Gebeine hier in Deutschland zu lassen. Wer weiß, zu welchem Zweck sie nach Deutschland gekommen sind, der weiß, dass man in den blühenden Zeiten des Kolonialismus, beweisen wollte, dass die Weißen überlegen sind. Und dass die Anderen, die Schwarzen, keine Kultur haben und unterlegen sind. Und zu rassistischen Forschungszwecken kamen diese Gebeine nach Deutschland. Und deswegen sollte man sich überlegen, ob es Sinn macht, dass Punkt 1: Es soll geforscht werden und die Bundesregierung soll auch Finanzmittel zur Verfügung stellen, damit man erforschen kann, woher diese Gebeine stammen und damit diese dann auch in ihre Heimat zurückkehren können. Es ist so, dass es unvorstellbar ist, dass diese Objekte einfach noch hier in Deutschland bleiben. Und wie sagte ein Freund von mir? „Diese Schädel und Gebeine müssen einfach zurück, damit sie zur Ruhe kommen. Damit unsere Ahnen zur Ruhe kommen, wie wir sagen.“ Deswegen ist es für mich unvorstellbar und inakzeptabel, dass man weiterhin diese Gebeine in deutschen Museen lässt und dass man sich auch nicht viel Mühe gibt, um die Provenienzforschung zu betreiben, damit sie in ihre Heimat zurückkehren können.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Das ist sehr wichtig. Ich werde erst einmal die Erklärung von Durban erwähnen. Da steht ganz klar, dass Kolonialismus und Sklavenhandel zum Rassismus geführt haben. Dass die Menschen afrikanischer Abstammung heute unter Rassismus leiden, hat auch damit zu tun, dass viele rassistische Ideologien im 19. Jahrhundert entstanden sind, wo Schwarze wirklich nicht als Menschen betrachtet wurden. Und die Geschichtsbücher, alles wurde in dieser Richtung gemacht. Die Schulbücher, die Forschung, die Geschichtserzählung, die Kultur – es ist einfach eine ganze Reihe von ideologischen Maßnahmen, die einfach dazu geführt haben, dass Menschen afrikanischer Herkunft weiterhin benachteiligt sind und Opfer von Rassismus sind. Aus diesem Grund, wenn eine Aufarbeitung der Kolonialgeschichte stattfinden soll, sollte man die Geschichte auch aus unserer Perspektive erzählen. Zum Beispiel dass man in den Schulen erzählt, dass die ägyptische Zivilisation eine Schwarze Zivilisation war. Zum Beispiel, dass man in den Schulen erzählt, dass in Afrika vor dem Kolonialismus keine wilden Leute gelebt haben, sondern es gab blühende Königreiche. Dass man weiß, dass die afrikanische Kultur sehr reich war und einen wesentlichen Beitrag zu der Kultur der Menschheit geleistet hat. Das muss gesehen werden. Und wir als Betroffene können besser diese Perspektive vermitteln. Weil es ist einfach so, dass jemand, der betroffen ist und der seine Geschichte kennt, kann das besser erzählen als ein Unbeteiligter. Aus diesem Grund denken wir, dass es sinnvoll ist und es wichtig ist, und das ist auch eine Forderung der Weltgemeinschaft. Denn Deutschland, das darf man nicht vergessen, hat diese Durban Erklärung unterschrieben. Und es gibt auch einen Aktionsplan für bestimmte Maßnahmen, die getroffen werden sollten, damit Menschen afrikanischer Abstammung weniger Opfer von Rassismus sind. Es gibt Maßnahmen in diesem Durban Aktionsplan, die zum Abbau von Rassismus gegen Schwarze Menschen beitragen können. Und die wollen wir gern auch umsetzen. Und deswegen ist es uns sehr wichtig, dass Menschen afrikanischer Herkunft eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung der Geschichte spielen.


Noa Ha


Noa Ha, asiatisch-deutsche Stadtforscherin, arbeitet an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen zur Produktion des städtischen Raumes. Aus einer rassismuskritischen und dekolonialen Perspektive befasst sie sich mit der Kolonialität der europäischen Städte.

Noa Ha, asiatisch-deutsche Stadtforscherin, arbeitet an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen zur Produktion des städtischen Raumes. Aus einer rassismuskritischen und dekolonialen Perspektive befasst sie sich mit der Kolonialität der europäischen Städte.

Derzeit arbeitet sie an der TU Dresden am Zentrum für Integrationsstudien, davor forschte und lehrte sie einige Jahre an der TU Berlin am Center for Metropolitan Studies und an der HU Berlin. Seit mehreren Jahren ist sie im Vorstand des Migrationsrat Berlin-Brandenburg e.V. (MRBB) tätig und engagiert sich im asiatisch-deutschen Netzwerk korientation e.V..

Zu ihren Publikationen zählen:

  • „Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche | Aushandlungen | Perspektiven“, Zwischenraum Kollektiv (Hg.). Unrast Verlag. Münster (2017).
  • „Straßenhandel in Berlin. Öffentlicher Raum, Informalität und Rassismus in der
    neoliberalen Stadt“. Bielefeld: transcript Verlag (2016).
  • „Street Vending in the Neoliberal City. A Global Perspective on the Practices and Policies of a Marginalized Economy“. Graaff, Kristina und Noa Ha (Hrsg.). New York: Berghahn Books (2015).
  • ‚Wer ist in der Stadt? Rassismus und Stadt. Zülfukar Çetin im Gespräch mit Noa Ha‘, in: „Gespräche über Rassismus – Perspektiven & Widerstände“. Zülfukar Çetin und Savas Tas (Hrsg.), Berlin: Verlag Yilmaz-Günay (2015).
  • ‚Kritisches Weißsein‘, mit Andreas Schneider, in: „Handbuch Kritische Stadtgeographie“. Bernd Belina, Matthias Naumann und Anke Strüver (Hrsg.). Münster: Westfälisches Dampfboot (2014).
  • ‚Perspektiven urbaner Dekolonisierung: Die europäische Stadt als ‚Contact Zone‘‘. In: „s u b \ u r b a n. zeitschrift für kritische stadtforschung“. Bd.2, Heft 1 (2014).

„Reparationen können es nicht wieder gut machen, aber sie sind zumindest ein Bekenntnis dazu, dass etwas falsch war und dass man letztlich auch ein gemeinsames Unrechtsverständnis entwickelt.“

 - Noa Ha

„Reparationen können es nicht wieder gut machen, aber sie sind zumindest ein Bekenntnis dazu, dass etwas falsch war und dass man letztlich auch ein gemeinsames Unrechtsverständnis entwickelt.“

 - Noa Ha


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Also das Wort, was mir einfällt ist Neokolonialismus. Also in der Verbindung… zum Einen, weil eine koloniale Geschichte wieder… Also beim Humboldt Forum geht es ja ganz konkret darum, dass die ethnologische Sammlung aus Dahlem, sozusagen aus der Peripherie von Berlin, in die Mitte gebracht wird. Und am Anfang war das ja überhaupt nicht in Verbindung zu einer Kolonialgeschichte gesehen worden, sondern „Ach, wir haben so Schätze aus der Welt, die bringen wir dahin und es geht darum irgendwie diese Weltkulturen ins Gespräch zu bringen“. Und dann gab es eine Kritik daran und es gibt im Moment einen Prozess sich mit der deutschen Kolonialgeschichte auch kritisch auseinanderzusetzen, aber das ist ja ein Kontext in dem wir eigentlich nicht mehr in formalen kolonialen Beziehungen sind. Und deswegen ist es auf eine Art und Weise auch eine postkoloniale, weil es sozusagen nach diesen formalen Entkolonisierungsprozessen stattfindet. Aber was ich beobachte in diesen Zusammenhängen und das ist nicht nur für Berlin und Deutschland, dass es so Prozesse der kolonialen Affirmation gibt, also die auch mit Ende der 90er, mit Ende des Kalten Krieges -es auch eine Wiederbezugnahme auf diese Kolonialgeschichte gibt. Das sehe ich in verschiedenen Städten. Und die haben schon eine Tendenz, also diese neokoloniale Tendenz, die koloniale Gewalt zu verharmlosen, die kolonialen Kontinuitäten nicht zu benennen, die rassistische Gegenwart zu entkoppeln, also überhaupt den Zusammenhang nicht herzustellen. Und weil das passiert, und das was passiert würde ich als eine Normalisierung begreifen, die im Endeffekt eigentlich dazu führ[t] koloniale Verhältnisse wieder zu reproduzieren. Und die sind dann für den gegenwärtigen Kontext auch neokoloniale Reproduktionen. Deswegen. Das wäre das Wort was mir dazu einfällt.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ja, also das ist ja naheliegend und Deutschland ist ja auch eines der wenigen Länder die auch Erfahrung damit haben, also wenn Unrecht im Namen eines nationalen Projektes entstanden ist – wobei damals…es ist immer noch so ein bisschen die Frage nach der Nation, Deutschland ist ja eine relative junge Nation – aber dennoch die Frage danach, ja, was heißt wenn Unrecht getan wurde, die Verantwortung dafür zu übernehmen und dass dann Reparationen gezahlt werden. Und das ist auch nicht von der Hand zu weisen. Und wenn ja auch mittlerweile es so benannt wird, dass es ein Genozid war, dann besteht das Unrecht ja weiter fort, wenn das Unrecht als solches nicht anerkannt wird und es kann ja nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Und insofern ist das ein Teil, also für mich wäre das auch ein Teil eines Dekolonisierungsprozesses, um diese koloniale Gewalt oder neokoloniale Gewalt zu unterbrechen und da zu Formen von Reparationen und auch vor allen Dingen zu Prozessen zu kommen. Was wir ja einfach gar nicht wissen: Wer sind die Opfer? Was ist die Perspektive der Opfer? Was ist da eigentlich an Gewalt angetan worden? Dass wir ganz wenig darüber wissen welche Lücken, was da an Leere entstanden ist, weil so viele Menschen ermordet worden sind und da muss viel mehr dazu passieren. Also Reparationen können es nicht wieder gut machen, aber es ist zumindest ein Bekenntnis dazu, dass etwas falsch war und dass man auch letztlich ein gemeinsames Unrechtsverständnis entwickelt. Und das ist ja noch sehr in den Anfängen.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Das ist eine gute Frage. Also auf jeden Fall sollte es ein Informationszentrum geben, das ist eigentlich das Minimale. Ich bin gerade so ein bißchen unsicher, ob es eine zentrale Einrichtung geben sollte. Viel besser würde ich es finden: Es gibt eine zentrale Einrichtung und es gibt noch viele andere Einrichtungen. Also gerade in Berlin. Berlin ist sehr groß, es gibt viele Bezirke, es gibt viele historische Schichten. Es würde sich anbieten nicht nur den Fokus auf eine zentrale Stätte [zu legen], also weil wir es in Berlin auch gerade mit diesen ganzen Entwicklungen auch in der Stadtentwicklung sehr stark mit so einer Zentralisierung zu tun haben. Und ich denke viel interessanter wäre auf Bezirksebene da an politischer Bildungsarbeit an Informationsstätten das zu entwickeln, dass da viele tolle Sachen entstehen könnten. Also weil Berlin so unterschiedlich ist, so viele unterschiedliche Kieze und Bezirke hat. Ein zentrales Zentrum wäre schon gut, aber noch besser wäre eigentlich darüber hinaus noch viele verschiedene Zentren zu entwickeln und aufzubauen. Und auch dann deutlich zu machen wie sehr diese kolonialen Kontinuitäten auch im Alltag wirksam sind. Also weil meines Erachtens da wahnsinnig viel an Arbeit zu tun ist, wenn es darum geht Dekolonisierung ernst zu nehmen.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Das sind Massengräber. Also, es ist ganz schwer was dazu zu sagen. Weil das so verbunden ist mit so viel Gewalt und auch Dehumanisierung, dass den Menschen die dort…. Also “Gebeine” heißt ja, dass diese Menschen nicht beerdigt werden, dass sie nicht gewürdigt werden, dass sozusagen diese Würdigung, oder auch diese Verbindung von Leben und Tod – das ist völlig unterbrochen. Und dass damit ja auch eine Verobjektivierung einhergeht von Menschen, was immer auch Teil von rassistischer Logik war. Also Menschen zu dehumanisieren und davon zeugt das halt. Und das ist gruselig, unangenehm das zu wissen und dass es auch nicht ein Verständnis oder nur ein sehr vages Verständnis darüber gibt, dass es total Unrecht ist, Gebeine für Forschungszwecke zu benutzen. Und wir haben eine Geschichte dazu… wozu Menschen… also was passiert ist. Das ist kein Rassismus im Sinne von dass es so offensichtlich als rassistisch gedacht wird. Aber genau das ist der Weg den wir gehen müssen, um Dekolonisierung zu betreiben. Dass das verständlich wird, was das bedeutet, wenn diese Gebeine immer noch in den Archiven, die mal zu wissenschaftlichen Zwecken und wenn sie immer noch dort sind ja eigentlich immer noch zu wissenschaftlichen Zwecken dort aufbewahrt werden, Also ich find das ganz schwierig das so zu sagen, wenn ich weiß, dass das Gebeine sind. Und ja sofort eigentlich was passieren müsste… sich zu überlegen: Wo müssen sie wieder hin? Wem müssen sie zurückgegeben werden? Wie kann man da auch einen pietätvollen Umgang mit finden? Das sind ja ganz grundlegend ethische Fragen. Die werfen natürlich dann auf der anderen Seite ethische Fragen für Wissensproduktion auf. Also was wissen wir über das was wir eigentlich wissen. Und ich meine die ganze “Rassenkunde” war ja nur darauf ausgerichtet menschliche Körper zu vermessen. Aber die Gebeine sind ja nochmal ein extrem morbides Feld darin. Und dass das weiter so besteht und dass das nicht bearbeitet wird, das liegt natürlich dem zu Grunde, irgendwie nicht so richtig zu wissen: “Ist das jetzt Unrecht, was ist dieses Unrecht, wenn ja wie”… und viel Unwissenheit. Aber die Unwissenheit resultiert aus so einer Aberkennung kolonialer Geschichte, das nicht anzuerkennen… und das wirkt alles zusammen dann .

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Die halte ich für extrem wichtig. Obwohl ich jetzt an dieser Stelle sehr skeptisch bin, ob sie überhaupt gleichberechtigt stattfinden können. Also wenn ich davon ausgehe, dass es eine globale koloniale Arbeitsteilung gibt, die nicht nur auf einer globalen Ebene so organisiert ist, sondern auch bis in die lokalen Ebenen hinein. Und dass auch koloniale und rassistische Verhältnisse in Berlin sich reproduzieren. Was wir ja wissen, was wir ja sehen – wie Armut ethnisiert wird, wie soziale Verhältnisse zueinander stehen. Wenn es nun darum geht einen gleichberechtigten Prozess herzustellen dann muss man eine Menge… dann muss man sich wirklich sehr genau überlegen – also um zur Gleichberechtigung zu kommen muss eine Menge an Transformation passieren. Und das wird ein schwieriger Weg, weil das natürlich mit Umverteilung verbunden ist. Dass man ein Verständnis dafür hat wie diese kolonialen rassistischen Verhältnisse überhaupt wirken, wer von was wie betroffen ist- sei es repräsentationspolitisch, sei es von sozialen Verhältnissen, wer wo wie eingebunden ist und auch ein Verständnis für diese Kontinuitäten zu haben. Wenn das erstmal alles ist, dann würden wir anfangen über gleichberechtigte Zusammenarbeit nachdenken zu können. Was ich im Moment hier in Berlin, in Deutschland, aber auch in den Niederlanden und anderen Ländern sehe, ist dass wir ja noch weit davon entfernt sind, dass wir überhaupt so ein Verständnis davon haben wo man anfangen könnte sich zu überlegen o.k. was müsste passieren um zu einer Gleichberechtigung zu kommen? Insofern würde ich denken, alles was passiert sind nur so Annäherungen dahin. Die müssen passieren. Aber ich bin im Moment eher skeptisch, dass es von heute auf morgen möglich ist. Aber wenn ich das Ganze als einen Prozess der Dekolonisierung begreife, dann würde ich schon denken, dass eine Strategie dahingehend ist, gar nicht so sehr über die Gleichberechtigung nachzudenken, sondern darüber nachzudenken: „Was heißt es denn, wenn ich die Frage von Deutungshoheit abgebe?“. Also wenn die großen Institutionen, seien es die Museen, die Universitäten, sagen „Wir geben jetzt die Deutungshoheit ab und überlassen es jetzt den Gruppen die eigentlich von dieser kolonialen Gewalt betroffen sind, wenn sie ihre Perspektive enthüllen.“ Und auch diese Perspektive wird ja nicht eine Perspektive sein. Da gibt es auch viele widersprüchliche Perspektiven. Aber wir erfahren das nicht, weil das immer wieder reduziert wird und so weiter. Insofern denke ich gibt es viele Strategien, aber ob diese Frage der Gleichberechtigung hilfreich ist? Ich glaube das wird schwierig, weil wir noch so viele Hürden bewältigen müssen, wie wir zu dieser Umverteilung kommen. Und ich denke Deutungshoheit mal abzugeben wäre zumindest mal ein guter Schritt in eine richtige Richtung.


Tahir Della


Tahir Della ist Mitglied im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland - ISD Bund e.V. und Trainer bei glokal e.V. Zusätzlich ist er Fachreferent Dekolonisierung im Berliner Promotorenprogramm “Eine Welt” für Postkolonialismus und Antirassismus. Er setzt sich ein für die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland und für eine Gesellschaft ohne Rassismus.

Tahir Della ist Mitglied im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland - ISD Bund e.V. und Trainer bei glokal e.V. Zusätzlich ist er Fachreferent Dekolonisierung im Berliner Promotorenprogramm “Eine Welt” für Postkolonialismus und Antirassismus. Er setzt sich ein für die Interessen Schwarzer Menschen in Deutschland und für eine Gesellschaft ohne Rassismus.

„Ich bin absolut der Meinung, dass sich Deutschland seiner kolonialen Vergangenheit stellen muss, also sich verantwortlich zeigen muss. Es muss Auseinandersetzungen geben, die deutlich machen, dass man eine Versöhnung mit den ehemaligen Kolonisierten will. Das muss natürlich auch beinhalten, dass man Reparationen zahlt.“

 - Tahir Della

„Ich bin absolut der Meinung, dass sich Deutschland seiner kolonialen Vergangenheit stellen muss, also sich verantwortlich zeigen muss. Es muss Auseinandersetzungen geben, die deutlich machen, dass man eine Versöhnung mit den ehemaligen Kolonisierten will. Das muss natürlich auch beinhalten, dass man Reparationen zahlt.“

 - Tahir Della


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Zum Humboldtforum fällt mir ein Wort ein, was immer wieder aufpoppt: Kontinuitäten.

Ich denke, dass mit der Umsetzung vom Humboldtforum deutlich wird, dass die Verhältnisse zwischen den ehemaligen Kolonisierten und den ehemals Kolonisierenden immer noch sehr stark von einem Machtgefüge, Machtverhältnissen geprägt sind. Das heißt: Die ehemaligen Kolonisierer, der Globale Norden bestimmt immer noch die Rahmenbedingungen, die Aushandlungen, wie Kolonialgeschichte aufgearbeitet, sichtbar gemacht wird, wie mit Beutekunst umgegangen wird. Und, das zeigt auch, dass es ein sehr problematisches Verhältnis ist. Das heißt: Die Beteiligten, die ehemaligen Kolonisierten kommen selten zu Wort in dem Kontext, haben auch kaum Möglichkeit der Einflussnahme auf diese Diskurse und diejenigen, die sozusagen diese Beutekunst oder diese Beutegegenstände nach wie vor in den europäischen und deutschen Museen sammeln, sehr selten bereit sind, sich auf das eigentliche zu konzentrieren, nämlich zum Beispiel die Provenienzforschung voranzutreiben. Also die Forschung sozusagen, unter welchen Umständen diese Gegenstände nach Europa kamen, nach Deutschland kamen und auch zu klären, ob eben Beutekunst auch zurückgegeben werden muss. Und das wird meistens versucht zu vermeiden. Man versucht lieber mit Konzepten das Ganze zu verschönigen und eigentlich doch darauf zu bestehen, die Gegenstände bei sich zu behalten.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ich bin absolut der Meinung, dass Deutschland sich seiner kolonialen Vergangenheit stellen muss – verantwortlich stellen muss -, dass es Auseinandersetzungen geben muss, die deutlich machen, man will eine Versöhnung, eine Aussöhnung haben mit den ehemaligen Kolonisierten und das natürlich auch beinhalten muss, dass man Reparationen zahlt.

Deutschland hat sich nach über hundert Jahren, endlich auf den Weg gemacht den Genozid in Namibia aufzuarbeiten und stellt aber gleich, im Kontext auch Bedingungen, unter welchen diese Auseinandersetzung stattfinden soll. Das heißt: Man hat von vorneherein ausgeschlossen, dass es Reparationen geben soll. Das ist keine Auseinandersetzung auf Augenhöhe, sondern das ist ein Fortführen kolonialer Verhältnisse, dass sozusagen festgestellt wird: Man ist nicht bereit, wirklich für so einen Schaden aufzukommen, für das, was angerichtet worden ist, auch wirklich sich verantwortlich zu zeigen und auch deutlich zu machen, dass die Beteiligten auch alle am Tisch sitzen. Jetzt sitzt nur die Regierung von Namibia am Verhandlungstisch. Die Opferverbände sind nicht beteiligt an den Diskursen und Verhandlungen. Und das ist problematisch, weil es wiederum zeigt, man bestimmt, mit wem man verhandelt, mit wem man spricht und was man sozusagen auch am Ende raus haben will.

Man will das Thema vom Tisch haben. Der Verhandlungsführer für Deutschland hat gesagt er will bis Januar dieses Thema erledigt haben. Und das zeigt wiederum, dass man nicht wirklich an einem Prozess interessiert ist, sondern, dass man eigentlich das Thema quasi als leidiges Thema vom Tisch haben möchte und sich nicht weiter damit beschäftigen will.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Seit sehr langer Zeit ist die Schwarze Community, die afrikanische Community in Deutschland dabei, die kolonialen Spuren im öffentlichen Raum sichtbar zu machen.

Wir sind auch der Meinung: Es braucht eine übergreifende Erinnerungspolitik auch für die Kolonialgeschichte und dazu gehört natürlich auch ein Denkmal, ein Mahnmal für die Versklavten, für die Kolonisierten, um deutlich zu machen: Deutschland war ein Akteur in der Kolonialgeschichte, es hat Vorteile daraus bezogen und profitiert nach wie vor davon. Und es muss deutlich gemacht werden, dass es eben auch Menschen gibt in Deutschland, in Europa, die unter diesen Folgen auch immer noch leiden und auch sichtbar machen wollen, was geschehen ist. Also, es gibt kaum ein Bewusstsein in der deutschen Öffentlichkeit über das, was Deutschland in seiner Kolonialgeschichte angerichtet hat und auch kaum Denkmäler, die daran erinnern. Deswegen bin ich durchaus der Meinung oder absolut der Meinung, dass wir so ein Denkmal brauchen, um deutlich zu machen: Deutschland stellt sich seiner Verantwortung.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Eins der schlimmsten Erben der Kolonialgeschichte, der deutschen Kolonialgeschichte, ist, dass durch fragwürdige Forschungsaktivitäten Gebeine von Menschen aus den ehemaligen Kolonien nach Europa, nach Deutschland kamen. Diese Gebeine sind nach wie vor in Deutschland. Es werden, anstatt weniger, immer mehr, die gefunden werden, wo immer mehr deutlich wird, in welchem Umfang das ganze stattgefunden hat. Und auch hier zeigt sich Deutschland nicht wirklich verantwortlich diesem Thema gegenüber, weil immer noch damit argumentiert wird, ja, zu dem Zeitpunkt war nicht deutlich, was man mit diesen Gebeinen machen will. Tatsächlich – das Beispiel Namibia hat es gezeigt – sind diese Gebeine unter wirklich sehr schlimmen Umständen nach Deutschland gekommen. Sie kamen aus dem Konzentrationslager in Namibia. Und auch hier tut sich Deutschland schwer, endlich mal konsequent das aufzuarbeiten, sichtbar zu machen und auch hier wiederum den ehemaligen Kolonisierten gegenüber deutlich zu machen: Man will einen Prozess der Aussöhnung. Das heißt: Man weigert sich eigentlich nach wie vor, den Fokus darauf zu legen. Stattdessen versucht man mit Hinhaltetaktiken das Thema wirklich nicht zu bearbeiten. Und das zeigt, wie gesagt, wie stark dieses Verhältnis immer noch von diesem kolonialen Denken geprägt ist.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig auf Wissensstände von Menschen afrikanischer Herkunft, Schwarzen Menschen zurückgegriffen wird. Die Wissensstände sind in den letzten dreißig Jahren enorm angewachsen über die Kolonialgeschichte Deutschlands. Und es ist ganz selten der Fall, dass die Akteure hier in Deutschland – Museen zum Beispiel oder Sammlungen – auf die Aktivist_innen, auf die Forscher_innen der Diaspora zugehen, um ihre Wissensstände mit ihnen zu teilen, um deutlich zu machen: Es gibt unterschiedliche Perspektiven auf die Kolonialgeschichte und bislang ist die Perspektive der ehemaligen Kolonisierer prägend für die Auseinandersetzung, für die Aushandlung der Kolonialgeschichte und das muss sich, meines Erachtens, ändern. Das heißt: Es muss sozusagen ein Perspektivwechsel nicht nur stattfinden, indem man sich diesem Thema endlich widmet und zuwendet, sondern es muss auch deutlich werden, dass man auch in den Verhältnissen zu den ehemaligen Kolonisierten ein gleichberechtigtes Miteinander anstrebt. Das heißt: Einen Prozess einleitet, um deren Perspektiven deutlicher werden zu lassen, sichtbarer zu machen und auch wirklich an den Aushandlungen aktiv zu beteiligen. Das heißt: In der Verantwortung zu stehen als ehemaliger Kolonisierer, auf die Menschen der Diaspora zuzugehen und sie einzuladen- nicht darauf zu warten, dass sie das immer fordern- sondern wirklich proaktiv auf die Menschen zuzugehen und sie einzubinden in diesen Prozess, ist, meines Erachtens, sehr sehr notwendig und längst überfällig.


Elisabeth Kaneza


Elisabeth Kaneza wurde 1987 in Ruanda geboren. Ihre Kindheit wurde von den Ereignissen des Völkermordes in 1994 geprägt. Sie studierte an der Universität Maastricht in den Niederlanden ‚European Studies‘, ihren Masterabschluss schloss sie in ‚Intercultural Conflict Management’ an der Alice-Salomon Hochschule ab.

Elisabeth Kaneza wurde 1987 in Ruanda geboren. Ihre Kindheit wurde von den Ereignissen des Völkermordes in 1994 geprägt. Sie studierte an der Universität Maastricht in den Niederlanden ‚European Studies‘, ihren Masterabschluss schloss sie in ‚Intercultural Conflict Management’ an der Alice-Salomon Hochschule ab.

Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union mit Afrika, die Transformation von innerstaatlichen Konflikten und das Themenkomplex „Migration und Flucht“. Elisabeth Kaneza setzt sich bundesweit für entwicklungspolitische Bildungsarbeit, Vielfalt und Chancengleichheit ein. Zu ihren Aktivitäten gehören die Moderation von politischen Veranstaltungen und die Planung sowie Durchführung von internationalen Dialogen, Seminaren und Workshops. Als Sprecherin und Dozentin nimmt sie zudem an verschiedenen Konferenzen teil, darunter Fachtagungen und Podiumsdiskussionen.

„Das ist immer eine Gratwanderung zwischen: was tun wir, um zu mahnen und was sollten wir unterlassen, um den Opfern ihre Würde zu lassen.”

 - Elisabeth Kaneza

„Das ist immer eine Gratwanderung zwischen: was tun wir, um zu mahnen und was sollten wir unterlassen, um den Opfern ihre Würde zu lassen.”

 - Elisabeth Kaneza


Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Also ich denke, dass die Frage der Reparationen ganz außer Frage steht. Wir brauchen Reparationen, weil es eine Menschenrechtsverletzung gab und das ist nicht nur eine Verletzung, sondern Verbrechen, also muss das, was den Menschen angetan wurde, wiedergutgemacht werden und in dem Fall reden wir dann von Reparationen. Die Frage, die sich eher stellt ist: Welche Art von Reparationen? Ein Genozid der rückwirkend aufgedeckt werden muss, der rückwirkend anerkannt werden muss stellt natürlich für alle Seiten eine Herausforderung dar. Das heißt im idealsten Fall können wir nachverfolgen und archivieren was passiert ist, im schlimmsten Fall können wir das nicht. Dann müssen wir uns Gedanken darüber machen welche Voraussetzungen für Reparationen erfüllt werden müssen. Soll es Zahlungen geben? Dann müssen wir uns die Frage stellen: Kann jemals ein Leid monetär beglichen werden, [wieder]gutgemacht werden? Ich denke, aus einer Menschenrechts-Perspektive ist das nicht unbedingt [naheliegend] zu sagen: wir müssen versuchen das Leid eins zu eins monetär wiedergutmachen. Oft ist es auch gar nicht möglich. Wir müssen [uns] tatsächlich [fragen] und das können wir nur im Austausch mit den Betroffenen machen: Was ist für Leid entstanden? Außer Frage: Menschliches Leid. Wir haben Menschenleben verloren. Das ist außer Frage. Dafür muss es Reparationen geben, aber was wird jetzt gebraucht, so viele Jahre nach so einem Völkermord? Das ist eine Frage, die kann fast keiner beantworten, außer diejenigen, die selbst davon betroffen sind und heute sprechen wir auch von den Nachkommen von den Herero und Nama. Und die müssen diese Frage beantworten, die müssen in den Prozess, um zu sehen: Was benötigen sie? Was sind ihre Forderungen? Was wurde ihnen auch an Leid getan? Da müssen wir in den Dialog treten.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Auf jeden Fall. Wir brauchen ein Mahnmal, wir brauchen auch Denkmäler, das ist ganz außer Frage. Es ist sogar schon fast eine große Ironie, dass das bisher versäumt worden ist. Wir wissen Deutschland hat eine Kolonialgeschichte, wir wissen Deutschland hat auch koloniales Erbe, sowohl hier vor Ort in Deutschland als auch in Afrika haben wir die Spuren dieser Kolonialisierung. Und das ist schon fast sehr makaber, heute darüber sprechen zu müssen ob wir ein Mahnmal haben sollten, 2017. Wir brauchen das und es ist längst fällig.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Was soll man dazu sagen also es ist, es ist ein Verbrechen. Das ist das erste, was dazu zu sagen ist. Diese Gebeine müssen rechtmäßig dorthin wieder zurückgebracht werden, wo sie hergekommen sind. Sie gehören Deutschland nicht. Das ist ein Verbrechen. Es ist schon schlimm, dass sie hier sind. Der andere Punkt ist und damit haben ja viele auch zu tun, die kuratieren und Sachen darstellen: Brauchen wir nicht, um Geschichte zu verstehen, um Geschichte nochmal zu rekapitulieren, brauchen wir nicht auch Hinweise, greifbare Überbleibsel von so einer Geschichte? Und da sind wir wieder im kolonialen Diskurs: Wer bestimmt, was über wen geschrieben wird, gezeigt wird, erzählt wird? Und das ist genau das Problem was wir in Deutschland sehen, dass das sozusagen ohne die Agency gemacht wird, die zur Schau gestellt wird. Ich stamme aus Ruanda, bin dort geboren. Im Völkermord war ich vor Ort in Ruanda und wir haben selbst in Ruanda gerade – um das Verbrechen, um die Grausamkeit aufzuzeigen – haben wir Gebeine, haben wir Ausstellungen mit den, Schädeln auch von Opfern. Das ist immer eine Gratwanderung zwischen “Was tun wir um zu mahnen?” und “Was sollten wir einfach unterlassen, um einfach auch den Opfern ihre Würde zu lassen?”. Das ist immer eine Gratwanderung. Aus dem ruandischen Kontext kann ich das sehr gut verstehen, auch zu sagen:Wir müssen mahnen wir brauchen auch bildlich vor uns was genommen wurde, was passiert ist. Im deutschen Kontext ist das ohne die Agency der Betroffenen und daher macht es das noch schlimmer.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Das ist sehr wichtig und da komme ich wieder zum Punkt der Reparationen, der Art und Weise [der Reparation]. Wenn wir über monetäre Reparationszahlungen reden, dann ist das ganz klar was geleistet werden muss: Eine Stelle muss Geld an eine Stelle zurückzahlen. Die Frage ist wohin? Im besten Falle haben wir diese Gruppe sehr gut definiert, die diese Reparationszahlungen bekommt. Nur sind wir in einem gewissen Konstrukt – [das] natürlich auch westlich dominiert ist – von Staatensystemen und gerade wenn wir uns jetzt Namibia anschauen ist auch dann die große Herausforderung zu gucken, auch wenn es Reparationszahlungen geben würde: Wohin kommen die? Kommen die den Betroffenen zugute? Das ist die eine Sache. Die andere Sache – und deshalb müssen die Betroffenen dabei sein – die andere Sache ist: Wir müssen Geschichte reparieren, rehabilitieren, das heißt, dass ist eine andere Reparation, die nicht monetär ist und da sind diejenigen, die von diesem Verbrechen profitiert haben, in der Pflicht mit den Betroffenen Geschichte aufzuarbeiten. Und das ist sehr wichtig weil wir sagen immer auch es gibt die Geschichte der Sieger. Sie schreiben die Geschichte und die wird zu einer Mainstreamgeschichte; das ist die Geschichte die gekauft wird, die geteilt wird, und wir wissen auch Rassismus ist ein Geschäft. Und wir können diese Narrative nicht ändern, wenn die andere Seite nicht ihre Perspektiven teilt. Aufgrund dessen schon alleine brauchen wir die Betroffenen, dass die dabei sind. Und dann brauchen wir eine andere Ebene; wir brauchen eine Öffnung, das heißt, wir brauchen eine Öffnung auf der einen Seite, die profitiert hat. Und es genügt nicht zu sagen, “wir haben gute Bekenntnisse, wir haben guten Willen, wir möchten ja aufarbeiten”, wie das in einigen Museen jetzt geschehen ist. In dem man zugibt man hat eine koloniale Geschichte und dann kann man einige Sachen zur Schau stellen ohne Beteiligung von Menschen afrikanischer Herkunft, zum Beispiel ohne, dass Künstler afrikanischer Herkunft dabei sind; konzeptionelle Beiträge geleistet wurden. Das geht nicht, weil das ist dann wieder eine Reproduktion der Narrative, die nur auf der Oberfläche darauf hinweisen, dass man verstanden hat worum es ging. Und das Verständnis fehlt dem nämlich, weil das Verständnis, was gebraucht wird liegt im Detail und Details liegen auch immer in der Konzeption, das heißt: Wo beginnt die konzeptionelle Überlegung für die Aufarbeitung? Und wenn sie nicht mit dem Subjekt beginnt, wenn da keine Wege sind zu diesem Subjekt, dann haben wir ein Problem, weil dann hab ich wieder top-down, das heißt ich berichte wieder; ich erzähle über die anderen aus meiner Perspektive und das ist sehr wichtig.

Wenn wir uns jetzt den Fall von Namibia angucken, auch [in Bezug auf] Reparationen, dann reden wir jetzt von den Nachfahren der Opfer, das heißt, wir haben versäumt mit den direkten Opfer, mit der Opfergeneration – in Teilen, wir haben noch einige – zu sprechen. Und das ist natürlich aufgrund der historischen Vernachlässigung dieser Epoche. Und wenn wir jetzt mit den Nachfahren dieser Opfer sprechen, ergeben sich ja andere Anliegen. Das heißt wenn wir nachweisen können, dass ein Völkermord eine lange Geschichte hat – wir beginnen mit Kolonialismus, Kolonialismus führt zu Völkermord und dieser Völkermord hat ein impact bis heute und wir sehen diese Kontinuitäten heute bei den Nachfahren dieser Betroffenen -, dann sprechen wir nicht nur von irgendwelchen Zahlungen, irgendwelche Straßen aufzubauen oder, wie einige das jetzt nennen, Entwicklungszusammenarbeit und Brunnen aufbauen. Da reden wir von tatsächlicher Arbeit, der Würdigung einer ganzen Gruppe, wir reden auch von wirtschaftlichen Faktoren; Benachteiligung einer ganzen Gruppe aufgrund dieses Ereignisses; und diese Menschen sind jetzt verstreut auf der ganzen Welt. Und da kann man sich nicht zurücknehmen und sagen: „Wir reden jetzt im nationalen Kontext und verhandeln mit unserem counterpart. Wir sind eine Regierung – der ist eine Regierung“. Wir müssen es ernst meinen und sagen: wir suchen diese Gruppen. Sie sind da und sie machen Forderungen, jeden Tag machen sie Forderungen!

Und deswegen ist dieses Bekenntnis nach Versöhnung, nach Aussöhnung nicht ernst zu nehmen, bis wir die Betroffenen tatsächlich am Tisch haben. Das ist sehr wichtig.


Abdel Amine Mohammed


Abdel Amine Mohammed hat Verwaltung und Politikwissenschaften, sowie Französische Philologie an der Universität Potsdam studiert.

Abdel Amine Mohammed hat Verwaltung und Politikwissenschaften, sowie Französische Philologie an der Universität Potsdam studiert.

Seine Interessensgebiete umfassen kritische Entwicklungstheorien, postkoloniale Theorien, Empowerment Workshops für Schwarze Menschen und People of Colour in Arbeitszusammenhängen, Einführungsseminare zu Whiteness Awareness-Workshops für Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft (auch in Arbeitszusammenhängen), Rassismustheorien, deutsche Kolonialgeschichte, Theorien und Konzepte rassismuskritischen und antirassistischer Bildung, sowie verschiedene Praxisprojekte zu Migration und Community Networking.

„Ich mache jetzt schon seit Jahren Führungen und meistens, wenn ich die Frage zum Kolonialismus stelle, ist eine gewisse Zurückhaltung aber auch Unwissenheit dabei, weil es nicht Thema ist in der Schulbildung, aber auch nicht präsent im Gesellschaftsdiskurs.“

 - Abdel Amine Mohammed

„Ich mache jetzt schon seit Jahren Führungen und meistens, wenn ich die Frage zum Kolonialismus stelle, ist eine gewisse Zurückhaltung aber auch Unwissenheit dabei, weil es nicht Thema ist in der Schulbildung, aber auch nicht präsent im Gesellschaftsdiskurs.“

 - Abdel Amine Mohammed


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Zum Humboldt Forum fällt mir nur auf wie viel in das Projekt Geld gesteckt wird. Also wieviele hunderte von Millionen. Um einfach so größtenteils Beutekunst aus ehemaligen Kolonien hier auf das Podest zu stellen.

Und auch nochmal im Hinblick auf Debatten, die in dem Zusammenhang laufen zwischen [dem] Projektinhaber und den Menschen, also den Betroffenen aus den verschiedenen Kolonien und auch den Initiativen, die sich hier damit auseinandersetzen. Ich finde es unerhört, dass die Stadt Berlin sich überhaupt nicht konkret dazu äußert. Sondern einfach immer wieder Debatten [führt] oder Positionen bezieht, die nirgendwo hinführen. Und [sie] tun so als ob damit alles erledigt und geklärt wäre, was nicht der Fall ist. Deshalb finde ich das Projekt muss A) nicht unbedingt stattfinden. Also leider ist es schon so weit vorangetrieben, dass man das nicht mehr stoppen kann. Was man aber mindestens machen könnte, wäre einfach mal die Stimmen zu hören, die Position beziehen. Wie z.B. zu den Rückgaben von tausenden von gestohlenen Kunstgegenständen aus – ich weiß nicht wie vielen- ehemaligen Kolonien oder Ländern, die man unter kolonialer Besatzung ausgeraubt hat. Und die Gegenstände, die werden hier im Keller in irgendwelchen Museen oder in Boxen [gelagert]. Also das fällt mir jetzt so spontan ein.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ja, also eine Reparationszahlung, das ist immer ein schwieriges Thema. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Aggressoren, also die Täter der Kolonialzeit immer Angst davor haben Privilegien abzugeben. Also [davor, das] Gesicht zu verlieren und überhaupt Geld an die Opfer, an Nachfahren von Opfern zu zahlen. Also, ich kann nachvollziehen, dass da Vorbehalte [da sind] beziehungsweise so eine Status quo-Erhaltung herrscht, finde das aber überhaupt nicht gerechtfertigt. Also ich finde, da muss man erstmal gucken, worum geht es bei Reparationsforderungen? Also da geht es nicht immer nur um Geld. Es geht auch meistens darum, eine gewisse Haltung den Geschehnissen gegenüber zu entwickeln. Um eben das Zusammenleben, Miteinanderleben dadurch auch ein Stück weit zu verbessern. Also es nützt keinem, also weder den Deutschen noch den Namibianern -also Herero und Namanachfahren – einander immer auf Kriegsfuß zu begegnen. Das hat man in anderen Kontexten so überhaupt nicht gemacht. Weil es immer so ist, dass Themen, die Kolonialismus betreffen bagatellisiert werden, wirkt so eine Haltung, als ob sie normal wäre oder natürlich. Dabei ist es überhaupt nicht natürlich oder normal. Da muss man wirklich über den eigenen Schatten springen können und die Sachen so ansprechen, wie sie sind. Es [ist] ein Genozid passiert. Darüber muss man reden. Man muss auch versuchen einen Kompromiss zu finden. Der Kompromiss kann nicht mit einem Hilfsangebot im Sinne von EZ, also Entwickelungszusammenarbeitsleistungen abgedeckt oder irgendwie ersetzt werden. Sondern [wir müssen] genau das ansprechen, was passiert [ist]. Es war ein Genozid. Und wie Genozide im Nachgang bearbeitet werden ist klar definiert, per Gesetz aber auch vom Menschenverstand. Also deshalb hilft da kein Umweg oder keine Status Quo-Erhaltung, sondern einfach direkt und ehrlich mit der Thematik umzugehen.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ein zentrales Mahnmal und Gedenkstätte muss [es] auf jeden Fall im Zusammenhang mit Versklavung und Kolonialismus hier, also nicht nur hier in Berlin, sondern generell in Deutschland geben. […]Also ich mach jetzt schon seit Jahren Führungen und meistens wenn ich die Frage zu Kolonialismus stelle, ist immer eine gewisse Zurückhaltung, aber auch Unwissen dabei. Und weil es nicht Thema ist in [der] Schulbildung, aber auch nicht präsent in dem Gesellschaftsdiskurs, wird es niederschwellig behandelt. Deshalb hilft es, – also nicht nur durch Mahnmale und Gedenkstätten wird das aus der Welt geschaffen- aber mindestens erfährt es eine gewisse Öffentlichkeit, weil viele Menschen, die die Mahnmale und Gedenkstätten besuchen werden und dadurch auch mit der Thematik konfrontiert werden und so werden sie dann auch aufmerksam darauf. Und bestimmte dumme Kommentare und Annahmen werden dadurch auch abgeschafft. Wenn z.B. mir einer die Frage stellt: „Kommst du aus einer unserer ehemaligen Kolonien?“ Also da wirkt eine klare Ignoranz darüber was Kolonie und Kolonialismus überhaupt bedeutet. Und ich glaube diejenigen würden mir die Frage nicht stellen, wenn ich ein weißer Jude wäre. Dann hätte er oder sie mir nicht die Frage gestellt: „In welches KZ wurden deine Eltern deportiert?“ Und [das] finde ich sehr problematisch. [Kolonialismus] wird bagatellisiert, bis hin zu lächerlich gemacht. Also das ist einfach sozusagen ein hipper Begriff geworden, der wahlweise oder beliebig verwendet wird. Ja, es gibt ein Kolonialmode. Also deshalb wird das überhaupt nicht so richtig ernst genommen, was in der Kolonialzeit, im Kolonialismus, in den Kolonien passiert ist. Obwohl es zu der Zeit und auch heute in Büchern zu lesen ist, ist trotzdem die Wahrnehmung und überhaupt die Auseinandersetzung damit sehr banal. Das muss anders sein. Es muss geändert werden.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Also zu menschlichen Gebeinen. Immer, wenn ich darüber reden muss, denke ich, dass kann nicht wahr sein, dass bis heute noch Debatten darüber geführt werden müssen! Bevor man überhaupt versteht, dass es grausam ist, dass es eklig ist! Man muss erstmal aufklären, dass die Gebeine, um die es geht, von Menschen sind, die also z.B. im Falle von Namibia, Menschen sind, die in solchen Konzentrationslagern umgekommen sind. Die geköpft wurden und denen auch andere Körperteile abgetrennt wurden, [welche] gekocht [wurden]. Und dann im Anschluss wurden Frauen und Kinder damit beauftragt, die Haut von den Schädeln und Körperteilen zu entfernen. Allein dieser Prozess ist grausam genug, um die Gebeine jetzt nicht mehr bei sich haben zu wollen. Aber klar, es gibt die Gegenseite von so genannten „Forschern“, die weiterhin noch an den Gebeinen forschen. Und da stelle ich mir die Frage: „Was forschen sie jetzt noch im 21. Jahrhundert?“ Dass da überhaupt ein Wissenschaftler – also für mich ist das kein Wissenschaftler – also ein sogenannter „Wissenschaftler“ sich solche Gebeine als Untersuchungsgegenstand vorstellt! Das ist unerhört! Und ich sag es nochmal, sowas ist einfach nur in einem kolonialen Kontext und besonders im afrikanischen Kontext möglich. Nur in diesem Kontext wird das geduldet. Trotzdem finde ich das einfach erbärmlich, eklig darüber zu reden, [erbärmlich] jemanden anzuflehen solche Gebeine abzugeben und zurückzuführen. Das sollte [in] Deutschland überhaupt nicht passieren.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Zur Aufarbeitungsarbeit, denke ich, dass es einfach von höchster Priorität oder notwendig ist, dass Nachfahren aus den ehemaligen Kolonien überhaupt daran beteiligt werden und zwar primär. Es sollte eigentlich ihnen die Möglichkeit gegeben [werden] die Konzepte zu erstellen [für] einen Prozess, [dafür] wie man arbeiten möchte. Es darf nicht umgekehrt sein [und] von top-down passieren. Sondern [es soll] von den „Opfergruppen“ in Anführungszeichen kommen. Nur so kann ich mir ein rassismusfreie[s], aber auch ein legitimiertes Verfahren vorstellen, mit dem man in so einem Kontext arbeiten kann. Andersrum würde es immer wieder nur zu Bagatellisierung, bis hin zu Ausschlusskriterien führen. Wenn wir die und die an Bord haben, [so wird argumentiert], kommt man gar nicht vorwärts. So geht das nicht. Das geht nicht. Man müsste auch woanders gucken wie es läuft. Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung [der] jüdischen Community von oben herab vorgeschrieben hat, wie eine Aufarbeitung der Shoa passieren sollte. Und an Strukturen und an kompetenten Köpfen mangelt es nicht in der afrikanischen Community oder in anderen Communities. Beweis dafür [sind] die vielen Initiativen und Veranstaltungen, die heute in den diversen Communities stattfinden. Aber auch zusammen mit Unterstützer*innengruppen, die ziemlich engagiert sind und jeden Tag unterwegs sind mit der Thematik. Es mangelt nicht an Expertise, es mangelt nicht an Initiative, es mangelt auch nicht an Know-How wie man an der Thematik arbeiten kann. Es braucht nur den guten Willen der Politik, um die Konzeption zu gestalten, um ein Budget [bereitzustellen], je nach dem was man dafür benötigt. Also z.B. für Schulbücher gibt es x Beispiele aus den Communities. Man muss sich einfach anschauen, was wird kritisiert, wie kann man daran arbeiten. Es gibt schon ganz viele Vorlagen, die müsste man einfach benutzen. Und es gibt in der Community [viele], die schon über Jahre an solchen Konzepten arbeiten.