Dr. Marie Biloa Onana ist Literaturwissenschaftlerin und Expertin für das kolonialrassistische Bild von Schwarzen Menschen in der deutschen Literaturgeschichte.

Dr. Marie Biloa Onana ist Literaturwissenschaftlerin und Expertin für das kolonialrassistische Bild von Schwarzen Menschen in der deutschen Literaturgeschichte.

Sie hat zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen und europäischen Literaturgeschichte u.a.: Der Sklavenaufstand von Haiti. Ethnische Differenz und Humanitätsideale in der Literatur des 19. Jahrhunderts (Böhlau-Verlag  2010). Sie ist zudem DaZ/DaF –Dozentin und Bildungsreferentin. Seit der Gründung von Berlin Postkolonial ist sie im Verein aktiv.

„Die Nachfahren Kolonisierter leben hier in Deutschland. Sie sind Teil dieser Gesellschaft. Sie haben ein Mitspracherecht.“

 - Dr. Marie Biloa Onana

„Die Nachfahren Kolonisierter leben hier in Deutschland. Sie sind Teil dieser Gesellschaft. Sie haben ein Mitspracherecht.“

 - Dr. Marie Biloa Onana

Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Was mir denn zum Humboldtforum einfällt: Beutekunst. Das Humboldtforum ist ja als ein großartiges kulturelles Projekt geplant, eine Art Kulturdialog, eine Art Plattform, in der Kulturen aus der ganzen Welt, darunter auch außereuropäische Kulturen ausgestellt werden. Das heißt, sie werden in Dialog miteinander treten. Das ist in dieser Welt von Verflechtung, von Kulturverflechtung eigentlich eine großartige Idee. Das Humboldtforum möchte aber auch die Sammlung des ethnologischen Museum und des Museum für asiatische Kunst übernehmen und das ist das Problematische daran. Die Sammlungen, die Objekte in diesen Museen sind überwiegend im Rahmen der kolonialen Eroberung, der kolonialen Enteignungspolitik und durch koloniale Gewaltaktionen erworben worden. Das heißt, ihre Herkunft ist dann problematisch. Also, was soll man hier haben? Will man einen Dialog auf Augenhöhe mit anderen Kulturen führen, dann sollte man sich erstmal mit der Herkunft dieser Objekte auseinandersetzen.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Meine Antwort ist eindeutig ja, es geht ja hier um den allerersten Genozid des 20. Jahrhunderts, vor dem Genozid an den Armeniern. Und mit einem Vernichtungsbefehl sind so viele Menschen gestorben. Es gab ein Massaker und das kann man nicht übersehen. Und Menschen haben in Konzentrationslagern gelitten, sie haben das Schlimmste erlebt, sie haben ihre psychologische, soziale Sicherheit als Volksgemeinschaft verloren, sie haben fast alles Land und Vieh verloren. Und es ist auch für mich nur legitim, dass man über Reparationen, das heißt Wiedergutmachungsleistungen spricht. Die Nachfahren der überlebenden Hereros stellen auch diese Forderungen. Und dass man diese Frage noch offen lässt, zeigt nur, dass dieses Thema eigentlich immer noch verdrängt wird. Man kann diesen Genozid nicht einfach bagatellisieren. Ja, viele Leute sind bis heute noch gekränkt, weil die Bundesrepublik Deutschland sich den Verbrechen dieser Aktionen nicht stellen will – das heißt, das Unrecht anerkennen, sich entschuldigen, und auch versuchen die Überlebenden, also die Nachfahren irgendwie wieder aufzubauen. Und es ist wichtig [anzuerkennen], dass dieses Volk heute noch, indirekt, manchmal auch direkt darunter leidet. Sie brauchen Schulen, Infrastrukturen, sie brauchen vielerlei Sachen. Und eine Entschädigung, Reparaturen, wäre dann wirklich gut, in diesem Fall. Und nicht nur das. Es ist ein Zeichen, ja, ein Zeichen der Anerkennung der Opfer. Sie werden sonst einfach nicht beachtet. Und wenn man das macht, zeigt das dass man dieses Kapitel auch in die deutsche Geschichte integriert.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Die Antwort ist auch hier: ja, wenn man davon ausgeht, dass die Themen Rassismus, Kolonialismus und Sklavenhandel keine Fußnote mehr, oder kein Fauxpas in der deutschen Nationalgeschichte sind. Wenn man davon ausgeht, dass Rassismus mit dem Kolonialismus und Sklavenhandel, Sklaverei gerechtfertigt wurde, damals existiert hat und heute noch höchst aktuell ist, also wenn man davon ausgeht – und davon gehe ich hier aus -, dass diese Themen Bestandteil der deutschen Nationalgeschichte [sind], dann ist ein Denkmal für die Opfer von Rassismus, Kolonialismus, Sklavenhandel sehr sehr notwendig. Es ist sogar selbstverständlich! Es kann doch nicht wahr sein, dass Denkmäler für andere Opfer errichtet wurden, für die Opfer von Gewaltaktionen, von Ungerechtigkeiten, von Unrecht errichtet wurden, aber dass man die Opfer von Sklaverei, Kolonialismus und Sklavenhandel einfach nicht beachtet. Und das ist wiederum ein Zeichen, wie selektiv die Erinnerungspolitik hier ist, wie selektiv, wie lügenhaft diese Geschichte ist und wie man hier, wie man versucht, immer wieder versucht, dieses Kapitel einfach zu vergessen oder die Gewaltaktionen, die heute noch spürbar sind, zu bagatellisieren. Und es gibt hier und da viele vereinzelte Projekte, [die versuchen, die Erinnerung an die Opfer zu erhalten]. Wir haben einen – verzeihen Sie mir, dass ich das Wort sage – lächerlichen, wir haben einen lächerlichen Gedenkstein im Garnisonfriedhof in Neukölln, wo man den Opfern, den Herero gedenkt. Es ist so lächerlich das zu sehen, oder? Und, hier im Wedding gibt es das Afrikanische Viertel als Erinnerungsort. Das ist gut. Es gibt so viele Aktivitäten von der Schwarzen Community, die immer wieder versuchen, dieses Thema auch in der Geschichte zu betrachten. Aber sie brauchen noch, wir haben noch viel zu tun in diesem Sinne. Und deswegen wäre es sehr schön, wenn man jetzt endlich auch ein Denkmal für die Opfer von Sklaverei und Kolonialismus in Berlin hätte.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Ich denke das ist moralisch nicht haltbar und es ist menschenverachtend, menschenunwürdig und aus heutiger demokratischer Sicht auch illegal und unrecht, ungerecht. Es sind da Körperteile, Überreste von Menschen, die unter den schlimmsten Bedingungen ermordet wurden, in Konzentrationslagern, in der Wüste, sie hatten nix zu essen, nix zu trinken, sie mussten verdursten, verhungern. Und dann wurden die Körperteile nach Deutschland gebracht. Und nicht zu vergessen: Es waren meist die Leute, die gegen das Regime, das koloniale Regime protestiert haben. Dass diese Körperteile nun in Museen sind, ist für mich ein weiterer Gewaltakt. Das heißt, ein Gewaltakt über den Tod hinaus. Man perpetuiert das Unrecht, die Gewalt. Was bedeutet es, wenn [diese Gebeine] immer noch in Deutschland sind? Damals, vermutet man, sollten diese Gebeine und Schädel für medizinische Forschungszwecke genutzt werden, was auch eine Unverschämtheit ist! Man wollte beweisen, dass die Schwarzen angeblich unterlegen, minderwertig sind. Ich denke man sollte diese Sachen, diese Schädel, diese Gebeine, Körperteile zurückbringen. Das ist nicht haltbar. Mehr kann ich nicht dazu sagen.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Ob ihre Perspektive wichtig ist bei der Auseinandersetzung mit Kolonialismus, bei Projekten und so weiter? Natürlich! Diese Leute, das heißt die Nachfahren Kolonisierter, leben hier in Deutschland, sie sind Teil der Gesellschaft, sie haben ein Mitspracherecht, ihre Stimme muss gehört werden, sie haben auch etwas zu sagen in der Gesellschaft, in der sie leben. Ihre Perspektive kann auch eine Erweiterung, eine Bereicherung [sein] und vielleicht neue Aspekte aufdecken. Und wenn man weiß, dass die dominante Erinnerungsperspektive so lückenhaft ist, so viele Lügen aufweist, dann ist diese Perspektive, diese andere Perspektive doch sehr schön, denn sie kann diese Lücken ausfüllen. Seitdem viele Initiativen aus der Schwarzen Community etwas in diesem Sinne machen, sind viele Sachen, die damals selbstverständlich waren, nun nicht mehr so selbstverständlich, weil sie in Frage gestellt, dekonstruiert wurden. Und ich denke, man sollte das nicht nur als Gegenerzählung, Gegenperspektive, sondern als eine Perspektive [anerkennen], die auch produktiv sein kann und die etwas ändern kann, entscheidend etwas ändern kann.