Iman Attia ist Professorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin, wo sie verantwortlich ist für die Module zu Rassismus und Migration.

Iman Attia ist Professorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin, wo sie verantwortlich ist für die Module zu Rassismus und Migration.

Diese sind auch ihre Arbeitsschwerpunkte, darunter spezifisch Cultural Studies, Postcolonial Studies, dekoloniale Studien, Orientalismus, antimuslimischer Rassismus und in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis zu anderen Formen der Kolonisierung, der Aneignung, der Zerstörung von Wissen, der machtvollen gesellschaftlichen Verhältnisse. Dabei spielen aus ihrer Sicht immer auch Geschlecht, Sexualität, Klasse, zunehmend, aber immer noch viel zu wenig, eine Rolle.

Auch beschäftigt sie sich mit Verbindungen von Rassismus und Ableismus, Migration und Behinderung, somit auch andere Formen der Interdependenz und Interrelation verschiedener gesellschaftlicher Machtverhältnisse miteinander. Insbesondere interessiert sie sich für die Verschränkung von Diskursen, Kultur, Wissen und Macht, also den Fragen: Wie werden bestimmte Bilder über das Eigene und das Andere hervorgebracht? Wie wird überhaupt so etwas wie das Eigene und das Andere hervorgebracht, wie hat sich das historisch entwickelt, wo gibt es Brüche und Widersprüche, an denen produktiv angesetzt werden kann? Dabei nimmt sie eine Perspektive von Widerständigkeit an, von alternativen Sichtweisen, Erzählungen, von kontrapunktischen Interventionen, um aufzubrechen, eben auch in dem andere Geschichten erzählt werden.

"Diejenigen, die ausgebeutet worden sind, deren Leben zerstört worden ist, deren sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, natürlichen Ressourcen zerstört worden sind, wo sehr viel angeeignet worden ist, sind nicht nur zentral zu berücksichtigen oder zu hören, sondern als maßgebliche Akteure einzubeziehen."

 - IMAN ATTIA

"Diejenigen, die ausgebeutet worden sind, deren Leben zerstört worden ist, deren sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, natürlichen Ressourcen zerstört worden sind, wo sehr viel angeeignet worden ist, sind nicht nur zentral zu berücksichtigen oder zu hören, sondern als maßgebliche Akteure einzubeziehen."

 - IMAN ATTIA


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Also, wenn ich nur ein Wort nennen darf zum Humboldt Forum beziehungsweise zum Berliner Schloss, dann fällt mir ein, dass es ein falsches Signal ist. Ein falsches Signal, zur falschen Zeit, am falschen Ort, weil es ein sehr kostspieliges Projekt ist. Das Geld hätte man sicherlich anders -das kommt ja nachher bei den weiteren Fragen auch noch zum tragen- anders ausgeben können. Zum Beispiel in dem man versucht Dinge wieder gut zu machen, aber auch in dem man andere historische Ereignisse würdigt, ihre Aufarbeitung finanziert, ein Bewusstsein dafür schafft, worin Deutschland verstrickt gewesen ist und nach wie vor verstrickt ist. Von daher, Ideen gäbe es genug, wie man so viel Geld investieren kann, an so einem zentralen Ort versuchen kann Dinge aufzuarbeiten, ihrer Gedenken kann, mahnen kann. Und das Signal…Also nicht nur weil man mit dem Geld etwas anderes anfangen könnte, sondern eben auch was damit signalisiert wird, knüpft an an Personen, an eine Zeit, an einen Umgang mit Geschichte, der eigentlich hätte der Vergangenheit angehören sollen. 

Also es hat etwas sehr restauratives und ich denke Berlin hat da mehr zu bieten. Es gibt hier so viel schöne Initiativen, so viel kreative und politische Kraft, die man hätte bündeln können um etwas wirklich Neues, etwas Kreatives, etwas politisch in eine andere Richtung Weisendes, an so einem zentralen Platz auch hätte installieren können, dem Raum geben können, vielleicht auch irgendwas – tatsächlich, von der Form her- Zeitgenössischeres, Interessanteres, als so ein altes Schloss aufzubauen.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ja, der Genozid an den Herero und Nama sollte in erster Linie auch tatsächlich offiziell anerkannt werden. Es fehlt ja immer noch eine offiziell ausgesprochene Anerkennung, eine Entschuldigung, und damit eben zusammenhängend auch der Versuch Dinge, soweit es geht -man kann manches nicht mehr gut machen, aber zu versuchen- das was gut zu machen ist, was rückgängig zu machen ist, was aufzuarbeiten ist, auch zu tun. Und dazu gehören natürlich Reparationszahlungen. Die Regierung argumentiert zwar, dass an Namibia mehr an Entwicklungshilfe geht im Zusammenhang mit der gemeinsamen Geschichte, wie es so schön heißt, aber zum Einen ist der Begriff einer der tatsächlich eher an die unheilvolle Geschichte anknüpft, also Entwicklungshilfe wird immer von oben nach unten geleistet. Er ist geknüpft an bestimmte Bedingungen, ist also nichts was Unrecht versucht wieder gut zu machen, sondern schafft im Grunde wieder neue Abhängigkeiten. Er ist von einer Hybris her, von einer Position her formuliert, die paternalistisch ist, die so etwas wie eine Zivilisierungsmission, eine Entwicklungsvision beinhaltet, aus einer Perspektive, die denke ich Deutschland nicht gut ansteht im Zusammenhang mit dem Genozid, den es vor über 100 Jahren dort begangen hat. Insofern denke ich wäre es an der Zeit tatsächlich anzuerkennen was da passiert worden ist, offiziell anzuerkennen, und dann eben mit den Herero und Nama Gemeinschaften gemeinsam zu überlegen, wie das, was gut zu machen ist, wieder gut gemacht werden kann, Dinge wieder in Ordnung gebracht werden können, wie Entschuldigungsleistungen fließen können: Also nicht nur materieller Art, sondern auch noch anderer Art.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ja, Berlin ist ein Ort der sehr geschichtsträchtig ist, der in der Vergangenheit sehr geschichtsträchtig gewesen ist und wo man an sehr vielen Stellen, auch gerade im Zentrum aber auch in den Peripherien, erinnert wird. Und das ist auch gut so, dass man erinnert wird, sich auseinandersetzen kann mit verschiedenen Phasen der deutschen Geschichte, der Berliner Geschichte. Es gibt sehr kreative, sehr innovative, auch weniger kreative und innovative, sehr viele Formate sich mit verschiedenen Phasen der Geschichte auseinanderzusetzen. Nur eben nicht zum Kolonialismus. Also das ist eine richtige Leerstelle, eine große Leerstelle in Berlin. Und ich denke es würde zum Einem der Hauptstadt, aber eben auch der pulsierenden Großstadt Berlin gut anstehen hier das Potenzial, das die verschiedenen Communities mitbringen, das verschiedene NGOs, Zivilgesellschaft, Kreative und so weiter mitbringen zu bündeln und so etwas wie ein großes Zentrum oder auch mehrere kleine zu eröffnen, wo auf unterschiedliche Art und Weise dem Kolonialismus, der Verstrickung in den Versklavungshandel, aber auch aktueller neuer Formen von internationalen Abhängigkeiten, neokolonialen Strukturen, rassistischen Strukturen gedacht wird , sie aufgearbeitet werden. Zum Beispiel so etwas wie Workshops für Schulen anzubieten, geführte Touren zu verschiedenen Themenschwerpunkten. Also wir haben ja Modelle in Berlin wie man sehr schön und sehr kreativ und sehr kritisch und sehr reflexiv und sehr differenziert Geschichte aufarbeiten kann und mit Geschichte umgehen kann, sie für Berlin Besucher_innen, für Schulklassen, für verschiedene Altersgruppen, für einzelne Besucher_innen auch zugänglich machen kann – mit digitalen Medien, mit künstlerischen Medien, mit pädagogischen Methoden. Und ich denke es wäre an der Zeit, also nicht nur ein Mahnmal das gedenkt, und selbst das wäre an der Zeit, aber darüber hinaus tatsächlich ein Zentrum [einzurichten], in dem eine aktive, reflexive, differenzierte Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und mit dem deutschen Beitrag und der Verwobenheit mit dem Kolonialismus stattfindet.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Ja es lagern in deutschen Museen in verschiedenen Beständen menschliche Gebeine, die im Zusammenhang mit dem Kolonialismus – “erworben”, heißt es teilweise, wurden- die hergebracht worden sind, die gestohlen worden sind, die entführt wurden sind – ich weiß nicht welcher Begriff da angemessen ist. Die gebracht worden sind, quasi. Schädelknochen- zum Teil zur Erinnerung, zu Demonstrationszwecken, aus irgendwelchen nostalgischen Gründen, aber eben auch zur Rassenforschung. Die dazu beitragen sollte so etwas wie eine menschliche Rasse von einer anderen zu unterscheiden, sie zu erforschen. Und diese Gebeine lagern zum Teil immer noch zu Hunderten und vielleicht sogar zu Tausenden in deutschen Museen, in Krankenhäusern, in Archiven, in Kellern in Schuhkartons aufbewahrt. Und sie werden zurückgefordert. Sie werden von den Nachfahren der Ermordeten, der Getöteten, der entführten Gebeine zurückgefordert, um sie begraben zu können, um sie beerdigen zu können, um sie wieder in die Heimat zu bringen. Und das ist tatsächlich ein Skandal, dass sich da die verschiedenen Museumsdirektionen, die Regierung und all die Beteiligten so schwer tun, sich zu verabschieden von den Gebeinen und eigentlich nicht von sich aus auf die Idee gekommen sind, dass die Zeit der Rasseforschung eigentlich vorbei sein sollte und die Zeit eben plündernd durch die Welt zu gehen und mitzunehmen was einem so gefällt auch vorbei sein sollte und dass die Überreste der Toten den Angehörigen zurückzugeben sind.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Ja, was die Beteiligung der Nachfahren an der Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit anbelangt: Auch das sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass diejenigen, die ausgebeutet worden sind, deren Leben zerstört worden ist, deren soziale, wirtschaftliche, kulturelle, natürliche Ressourcen zerstört worden sind, wo sehr viel angeeignet worden ist, dass zumindest an diesem Punkt der Aufarbeitung der Geschichte sie nicht nur zentral zu berücksichtigen oder zu hören sind, sondern als maßgebliche Akteure einzubeziehen sind. Also – dass hier eher die Fördereinrichtungen aber auch die Akteure/Akteurinnen der deutschen Gesellschaft sich Rat holen, sich beraten lassen, sich unterstützen lassen von denjenigen, die unter dem Kolonialismus gelitten haben. Die zum Einem aus der Perspektive derjenigen, die darunter gelitten haben, ganz andere Geschichten zu erzählen haben, auch ein ganz anderes Interesse haben, die aber tatsächlich auch eine ganz andere Intensität der Auseinandersetzung über die Jahre hatten als wir hier. Also im Unterschied zu Schulkindern, von mir aus, in der Bundesrepublik, die ja in der Regel nicht wissen, dass es so etwas wie den deutschen Kolonialismus überhaupt gegeben hat, wachsen damit die Kinder in den ehemaligen Kolonien auf. Das heißt sie bringen auch sehr viel mehr Wissen, ganz anderes Wissen, sehr viel differenzierteres Wissen mit. Wir wären gut beraten uns beraten zu lassen. Insofern geht es dabei nicht nur um eine moralische Einbeziehung, die auch wichtig ist, sondern tatsächlich um eine, die auch von den Erfahrungen, von den Erkenntnissen und wie gesagt aber eben auch von der Perspektive derjenigen [Nachfahren der Kolonisierten] nur profitieren kann. Aber es geht eben tatsächlich auch darum die verschiedenen Perspektiven und hier vor allen Dingen die Perspektiven der Ausgebeuteten, der, deren Wissen angeeignet worden ist, ihnen nun Raum zu geben ihr Wissen selbst darzustellen und ihre Sichtweisen selbst darzustellen. Und ich denke das könnte auch für die berliner, aber auch für die bundesdeutsche Öffentlichkeit, insgesamt, interessant sein, sich nicht nur immer im eigenen Wissen und in den eigenen Wahrnehmungen zu bewegen, sondern auch von außen einige Perspektiven auf die gemeinsame Geschichte präsentiert zu bekommen, einige Denkanstöße, Diskussionsbeiträge sich anzuhören.

Ergänzungen:

Vielleicht wäre noch wichtig zu ergänzen, dass wir sehr häufig von DER deutschen Perspektive und DER Perspektive der ehemaligen Kolonien, oder jetzt in dem Fall der Herero und Nama sprechen. Und was ich schon wahrnehme ist, dass es auch hier in der Gesellschaft sehr viele kritische Stimmen gibt, sehr viele Stimmen nicht nur aus den diasporischen Communities sondern auch aus der weißen Mehrheitsgesellschaft, die dieses Schloss für überflüssig halten, die sehr gerne auch in Kauf nehmen würden, weniger zu verdienen oder nicht so im Überfluss zu leben, wenn sie mit der Geschichte der Nation, deren Teil sie sind, wenn sie da ein etwas reineres Gewissen haben könnten – und das ja auch diese Stimmen nicht gehört werden. Wenn so über die Köpfe der gesellschaftskritischen Positionen hinweg, von mir aus, so ein Schloss gebaut wird, so ein repräsentatives, teures, an die alten Zeiten anknüpfendes – also wer wird da hingehen in dieses Schloss? Das ist irgendeine bestimmte, ja wahrscheinlich Bildungselite, die sich als Bildungselite oder als Bildungsbürgertum versteht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass auch sehr viele weiße Berliner_innen, die zum Einem aus einer gesellschaftskritischen Ecke kommen oder auch ein Bedürfnis danach haben, die eigene Geschichte etwas differenzierter und kritischer dargestellt und reflektiert zu sehen, sehr gerne zu einer anderen Stätte gehen würden, als zu der, die da gerade gebaut wird. Aber auch wenn sie methodisch und didaktisch etwas prickelnder oder etwas ansprechender gestaltet wäre und dass man vielleicht auch über solche kreativen  Methoden dann auch mit bestimmten Themen an Gruppen herankäme, die ja in Berlin sehr stark vertreten sind, die sich aber sich mit solchen Themen noch nicht beschäftigen. Also dass auch aus der Mehrheitsgesellschaft heraus hier bestimmte Bedürfnisse nicht gesehen werden, wenn quasi immer wieder angeknüpft wird an irgendeine Größe, an irgendein Selbstbild, das tatsächlich auch die eigene Gesellschaft so nicht ungebrochen teilt. Also auch aus dieser Ecke, denke ich, sollte die Kritik gehört werden und die Bedürfnisse gehört werden. Aber jetzt in diesem konkreten Fall, wo es tatsächlich um so etwas wie Gebeine, wie Kolonialismus, wie Reparationszahlungen geht, sind natürlich die Stimmen derjenigen, die da zu Opfern gemacht worden sind, diejenigen die maßgeblich sind. Also unabhängig davon jetzt ob es innerhalb der weißen Gesellschaft auch Kritik gibt oder nicht, sind diese Stimmen natürlich die maßgeblichen.