Zur Person
Moctar Kamara lebt seit 1996 in Berlin. Der studierte Philosoph ist derzeit Vorsitzender des Zentralrats der afrikanischen Gemeinde in Deutschland und Initiator des jährlich in Berlin stattfindenden Gedenkmarsch zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt.
Moctar Kamara lebt seit 1996 in Berlin. Der studierte Philosoph ist derzeit Vorsitzender des Zentralrats der afrikanischen Gemeinde in Deutschland und Initiator des jährlich in Berlin stattfindenden Gedenkmarsch zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung, Kolonialismus und rassistischer Gewalt.
Er setzt sich unter anderem für die Errichtung eines afrikanischen Denkmal in Berlin, die Rückführung der menschlichen Gebeine aus den ehemaligen deutschen Kolonien, Straßenumbenennungen und eine gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte ein.
„Die Konferenz der Aufteilung von Afrika in Berlin: Das lernt man in jeder Schule in Afrika. Und deswegen ist es symbolisch und wichtig, dass hier am Ort des Geschehens ein Denkmal entsteht zur Erinnerung an die Opfer von Versklavung und Kolonialismus.“
- MOCTAR KAMARA
„Die Konferenz der Aufteilung von Afrika in Berlin: Das lernt man in jeder Schule in Afrika. Und deswegen ist es symbolisch und wichtig, dass hier am Ort des Geschehens ein Denkmal entsteht zur Erinnerung an die Opfer von Versklavung und Kolonialismus.“
- MOCTAR KAMARA
Transkript
Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?
Ich finde das einfach eine Schande, dass in Berlin in diesem Jahrhundert solche “Schlösser” entstehen, die einfach irgendwie die Zeiten glorifizieren, die einfach nicht zu glorifizieren sind. Weil diese Zeiten sind mit Sklavenhandel verbunden und außerdem auch mit Kolonialismus – weil die Objekte, die dort sein sollen, diese Objekte sind einfach durch blutige Kolonialkriege in Deutschland gelandet. Zum Beispiel, wenn man von den Objekten aus Benin spricht, zum Beispiel. Jeder weiß wie die Engländer zu diesen Objekten gekommen sind. Nach dem sie das Königreich von Benin zerstört haben und alles geplündert haben, dann haben sie das in London verkauft und die Deutschen haben das erworben. Und solche Güter sind sehr problematisch.
Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?
Es ist so, dass die Opfer von diesen Genoziden Herero und Nama sind. Auch wenn Deutschland heute mit der namibischen Regierung verhandelt, kann es nicht sein, dass die Opfer außer Acht gelassen werden. Weil die sind Opfer, die wurden enteignet, die wurden vernichtet und Deutschland soll mit diesen Nachfahren dieser Opfer verhandeln und Reparationen zahlen. Weil es wurden fast 80 Prozent der Herero vernichtet und bis heute hat dieser Genozid noch seine Auswirkungen, weil die Herero und Nama sind die Ärmsten in Namibia – und sie haben ihr Land verloren. Was man auch nicht sagen möchte und will ist, dass auch die deutschen Kolonialisten, die sich in Namibia niedergelassen haben, weiterhin von den “Früchten” dieses Genozides profitieren und das ist nicht akzeptabel.
Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?
Das muss errichtet werden. Weil es ist so gewesen – Punkt 1: Was man vergisst ist, dass Deutschland am Sklavenhandel teilgenommen hat und man spricht natürlich heute nur von Brandenburg-Preußen. Eigentlich, wenn man richtig forscht, würde man wissen, dass Hamburg, weil es kann nicht sein, dass ein großer Hafen, wie der Hafen von Hamburg nicht beteiligt war, auch beteiligt war. Und vor Kurzem haben Forscher in der Schweiz herausgefunden, dass viele Reiche, Menschen, die heute sehr reich sind, vom Sklavenhandel profitiert haben. Auch Deutschland hat vom Sklavenhandel profitiert, Punkt 1. Und Punkt 2: Die Initiative der Berliner Konferenz. Bismarck hat alle Kolonialisten hier nach Deutschland eingeladen, um sich Afrika aufzuteilen. Und dann hatte Deutschland auch Kolonien in Afrika. Zum Glück war das nicht sehr lang, weil diese Zeit war sehr kurz. Aber in dieser kurzen Zeit gab es viele Genozide in Namibia und man darf auch den Maji Maji Aufstand in Tansania nicht vergessen. Und aus diesem Grund meinen wir, dass in Berlin ein Denkmal entstehen sollte und auch eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die Sklaverei und den Kolonialismus. Wir begründen das damit, dass Deutschland diese Initiative hatte. Jeder Afrikaner der zur Schule geht, wenn man von Berlin spricht, das erste was kommt ist „Die Konferenz der Aufteilung von Afrika in Berlin“. Das lernt man in jeder jeder jeder Schule in Afrika. Und deswegen ist es symbolisch und wichtig, dass hier am Ort des Geschehens ein Denkmal entsteht zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung und Kolonialismus.
Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?
Puh [seufzt schwer], ich kann nicht… Das ist kaum vorstellbar, dass man noch darauf besteht, diese Gebeine hier in Deutschland zu lassen. Wer weiß, zu welchem Zweck sie nach Deutschland gekommen sind, der weiß, dass man in den blühenden Zeiten des Kolonialismus, beweisen wollte, dass die Weißen überlegen sind. Und dass die Anderen, die Schwarzen, keine Kultur haben und unterlegen sind. Und zu rassistischen Forschungszwecken kamen diese Gebeine nach Deutschland. Und deswegen sollte man sich überlegen, ob es Sinn macht, dass Punkt 1: Es soll geforscht werden und die Bundesregierung soll auch Finanzmittel zur Verfügung stellen, damit man erforschen kann, woher diese Gebeine stammen und damit diese dann auch in ihre Heimat zurückkehren können. Es ist so, dass es unvorstellbar ist, dass diese Objekte einfach noch hier in Deutschland bleiben. Und wie sagte ein Freund von mir? „Diese Schädel und Gebeine müssen einfach zurück, damit sie zur Ruhe kommen. Damit unsere Ahnen zur Ruhe kommen, wie wir sagen.“ Deswegen ist es für mich unvorstellbar und inakzeptabel, dass man weiterhin diese Gebeine in deutschen Museen lässt und dass man sich auch nicht viel Mühe gibt, um die Provenienzforschung zu betreiben, damit sie in ihre Heimat zurückkehren können.
Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?
Das ist sehr wichtig. Ich werde erst einmal die Erklärung von Durban erwähnen. Da steht ganz klar, dass Kolonialismus und Sklavenhandel zum Rassismus geführt haben. Dass die Menschen afrikanischer Abstammung heute unter Rassismus leiden, hat auch damit zu tun, dass viele rassistische Ideologien im 19. Jahrhundert entstanden sind, wo Schwarze wirklich nicht als Menschen betrachtet wurden. Und die Geschichtsbücher, alles wurde in dieser Richtung gemacht. Die Schulbücher, die Forschung, die Geschichtserzählung, die Kultur – es ist einfach eine ganze Reihe von ideologischen Maßnahmen, die einfach dazu geführt haben, dass Menschen afrikanischer Herkunft weiterhin benachteiligt sind und Opfer von Rassismus sind. Aus diesem Grund, wenn eine Aufarbeitung der Kolonialgeschichte stattfinden soll, sollte man die Geschichte auch aus unserer Perspektive erzählen. Zum Beispiel dass man in den Schulen erzählt, dass die ägyptische Zivilisation eine Schwarze Zivilisation war. Zum Beispiel, dass man in den Schulen erzählt, dass in Afrika vor dem Kolonialismus keine wilden Leute gelebt haben, sondern es gab blühende Königreiche. Dass man weiß, dass die afrikanische Kultur sehr reich war und einen wesentlichen Beitrag zu der Kultur der Menschheit geleistet hat. Das muss gesehen werden. Und wir als Betroffene können besser diese Perspektive vermitteln. Weil es ist einfach so, dass jemand, der betroffen ist und der seine Geschichte kennt, kann das besser erzählen als ein Unbeteiligter. Aus diesem Grund denken wir, dass es sinnvoll ist und es wichtig ist, und das ist auch eine Forderung der Weltgemeinschaft. Denn Deutschland, das darf man nicht vergessen, hat diese Durban Erklärung unterschrieben. Und es gibt auch einen Aktionsplan für bestimmte Maßnahmen, die getroffen werden sollten, damit Menschen afrikanischer Abstammung weniger Opfer von Rassismus sind. Es gibt Maßnahmen in diesem Durban Aktionsplan, die zum Abbau von Rassismus gegen Schwarze Menschen beitragen können. Und die wollen wir gern auch umsetzen. Und deswegen ist es uns sehr wichtig, dass Menschen afrikanischer Herkunft eine wichtige Rolle bei der Aufarbeitung der Geschichte spielen.