Zur Person
Elisabeth Kaneza wurde 1987 in Ruanda geboren. Ihre Kindheit wurde von den Ereignissen des Völkermordes in 1994 geprägt. Sie studierte an der Universität Maastricht in den Niederlanden ‚European Studies‘, ihren Masterabschluss schloss sie in ‚Intercultural Conflict Management’ an der Alice-Salomon Hochschule ab.
Elisabeth Kaneza wurde 1987 in Ruanda geboren. Ihre Kindheit wurde von den Ereignissen des Völkermordes in 1994 geprägt. Sie studierte an der Universität Maastricht in den Niederlanden ‚European Studies‘, ihren Masterabschluss schloss sie in ‚Intercultural Conflict Management’ an der Alice-Salomon Hochschule ab.
Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union mit Afrika, die Transformation von innerstaatlichen Konflikten und das Themenkomplex „Migration und Flucht“. Elisabeth Kaneza setzt sich bundesweit für entwicklungspolitische Bildungsarbeit, Vielfalt und Chancengleichheit ein. Zu ihren Aktivitäten gehören die Moderation von politischen Veranstaltungen und die Planung sowie Durchführung von internationalen Dialogen, Seminaren und Workshops. Als Sprecherin und Dozentin nimmt sie zudem an verschiedenen Konferenzen teil, darunter Fachtagungen und Podiumsdiskussionen.
„Das ist immer eine Gratwanderung zwischen: was tun wir, um zu mahnen und was sollten wir unterlassen, um den Opfern ihre Würde zu lassen.”
- Elisabeth Kaneza
„Das ist immer eine Gratwanderung zwischen: was tun wir, um zu mahnen und was sollten wir unterlassen, um den Opfern ihre Würde zu lassen.”
- Elisabeth Kaneza
Transkript
Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?
Also ich denke, dass die Frage der Reparationen ganz außer Frage steht. Wir brauchen Reparationen, weil es eine Menschenrechtsverletzung gab und das ist nicht nur eine Verletzung, sondern Verbrechen, also muss das, was den Menschen angetan wurde, wiedergutgemacht werden und in dem Fall reden wir dann von Reparationen. Die Frage, die sich eher stellt ist: Welche Art von Reparationen? Ein Genozid der rückwirkend aufgedeckt werden muss, der rückwirkend anerkannt werden muss stellt natürlich für alle Seiten eine Herausforderung dar. Das heißt im idealsten Fall können wir nachverfolgen und archivieren was passiert ist, im schlimmsten Fall können wir das nicht. Dann müssen wir uns Gedanken darüber machen welche Voraussetzungen für Reparationen erfüllt werden müssen. Soll es Zahlungen geben? Dann müssen wir uns die Frage stellen: Kann jemals ein Leid monetär beglichen werden, [wieder]gutgemacht werden? Ich denke, aus einer Menschenrechts-Perspektive ist das nicht unbedingt [naheliegend] zu sagen: wir müssen versuchen das Leid eins zu eins monetär wiedergutmachen. Oft ist es auch gar nicht möglich. Wir müssen [uns] tatsächlich [fragen] und das können wir nur im Austausch mit den Betroffenen machen: Was ist für Leid entstanden? Außer Frage: Menschliches Leid. Wir haben Menschenleben verloren. Das ist außer Frage. Dafür muss es Reparationen geben, aber was wird jetzt gebraucht, so viele Jahre nach so einem Völkermord? Das ist eine Frage, die kann fast keiner beantworten, außer diejenigen, die selbst davon betroffen sind und heute sprechen wir auch von den Nachkommen von den Herero und Nama. Und die müssen diese Frage beantworten, die müssen in den Prozess, um zu sehen: Was benötigen sie? Was sind ihre Forderungen? Was wurde ihnen auch an Leid getan? Da müssen wir in den Dialog treten.
Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?
Auf jeden Fall. Wir brauchen ein Mahnmal, wir brauchen auch Denkmäler, das ist ganz außer Frage. Es ist sogar schon fast eine große Ironie, dass das bisher versäumt worden ist. Wir wissen Deutschland hat eine Kolonialgeschichte, wir wissen Deutschland hat auch koloniales Erbe, sowohl hier vor Ort in Deutschland als auch in Afrika haben wir die Spuren dieser Kolonialisierung. Und das ist schon fast sehr makaber, heute darüber sprechen zu müssen ob wir ein Mahnmal haben sollten, 2017. Wir brauchen das und es ist längst fällig.
Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?
Was soll man dazu sagen also es ist, es ist ein Verbrechen. Das ist das erste, was dazu zu sagen ist. Diese Gebeine müssen rechtmäßig dorthin wieder zurückgebracht werden, wo sie hergekommen sind. Sie gehören Deutschland nicht. Das ist ein Verbrechen. Es ist schon schlimm, dass sie hier sind. Der andere Punkt ist und damit haben ja viele auch zu tun, die kuratieren und Sachen darstellen: Brauchen wir nicht, um Geschichte zu verstehen, um Geschichte nochmal zu rekapitulieren, brauchen wir nicht auch Hinweise, greifbare Überbleibsel von so einer Geschichte? Und da sind wir wieder im kolonialen Diskurs: Wer bestimmt, was über wen geschrieben wird, gezeigt wird, erzählt wird? Und das ist genau das Problem was wir in Deutschland sehen, dass das sozusagen ohne die Agency gemacht wird, die zur Schau gestellt wird. Ich stamme aus Ruanda, bin dort geboren. Im Völkermord war ich vor Ort in Ruanda und wir haben selbst in Ruanda gerade – um das Verbrechen, um die Grausamkeit aufzuzeigen – haben wir Gebeine, haben wir Ausstellungen mit den, Schädeln auch von Opfern. Das ist immer eine Gratwanderung zwischen “Was tun wir um zu mahnen?” und “Was sollten wir einfach unterlassen, um einfach auch den Opfern ihre Würde zu lassen?”. Das ist immer eine Gratwanderung. Aus dem ruandischen Kontext kann ich das sehr gut verstehen, auch zu sagen:Wir müssen mahnen wir brauchen auch bildlich vor uns was genommen wurde, was passiert ist. Im deutschen Kontext ist das ohne die Agency der Betroffenen und daher macht es das noch schlimmer.
Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?
Das ist sehr wichtig und da komme ich wieder zum Punkt der Reparationen, der Art und Weise [der Reparation]. Wenn wir über monetäre Reparationszahlungen reden, dann ist das ganz klar was geleistet werden muss: Eine Stelle muss Geld an eine Stelle zurückzahlen. Die Frage ist wohin? Im besten Falle haben wir diese Gruppe sehr gut definiert, die diese Reparationszahlungen bekommt. Nur sind wir in einem gewissen Konstrukt – [das] natürlich auch westlich dominiert ist – von Staatensystemen und gerade wenn wir uns jetzt Namibia anschauen ist auch dann die große Herausforderung zu gucken, auch wenn es Reparationszahlungen geben würde: Wohin kommen die? Kommen die den Betroffenen zugute? Das ist die eine Sache. Die andere Sache – und deshalb müssen die Betroffenen dabei sein – die andere Sache ist: Wir müssen Geschichte reparieren, rehabilitieren, das heißt, dass ist eine andere Reparation, die nicht monetär ist und da sind diejenigen, die von diesem Verbrechen profitiert haben, in der Pflicht mit den Betroffenen Geschichte aufzuarbeiten. Und das ist sehr wichtig weil wir sagen immer auch es gibt die Geschichte der Sieger. Sie schreiben die Geschichte und die wird zu einer Mainstreamgeschichte; das ist die Geschichte die gekauft wird, die geteilt wird, und wir wissen auch Rassismus ist ein Geschäft. Und wir können diese Narrative nicht ändern, wenn die andere Seite nicht ihre Perspektiven teilt. Aufgrund dessen schon alleine brauchen wir die Betroffenen, dass die dabei sind. Und dann brauchen wir eine andere Ebene; wir brauchen eine Öffnung, das heißt, wir brauchen eine Öffnung auf der einen Seite, die profitiert hat. Und es genügt nicht zu sagen, “wir haben gute Bekenntnisse, wir haben guten Willen, wir möchten ja aufarbeiten”, wie das in einigen Museen jetzt geschehen ist. In dem man zugibt man hat eine koloniale Geschichte und dann kann man einige Sachen zur Schau stellen ohne Beteiligung von Menschen afrikanischer Herkunft, zum Beispiel ohne, dass Künstler afrikanischer Herkunft dabei sind; konzeptionelle Beiträge geleistet wurden. Das geht nicht, weil das ist dann wieder eine Reproduktion der Narrative, die nur auf der Oberfläche darauf hinweisen, dass man verstanden hat worum es ging. Und das Verständnis fehlt dem nämlich, weil das Verständnis, was gebraucht wird liegt im Detail und Details liegen auch immer in der Konzeption, das heißt: Wo beginnt die konzeptionelle Überlegung für die Aufarbeitung? Und wenn sie nicht mit dem Subjekt beginnt, wenn da keine Wege sind zu diesem Subjekt, dann haben wir ein Problem, weil dann hab ich wieder top-down, das heißt ich berichte wieder; ich erzähle über die anderen aus meiner Perspektive und das ist sehr wichtig.
Wenn wir uns jetzt den Fall von Namibia angucken, auch [in Bezug auf] Reparationen, dann reden wir jetzt von den Nachfahren der Opfer, das heißt, wir haben versäumt mit den direkten Opfer, mit der Opfergeneration – in Teilen, wir haben noch einige – zu sprechen. Und das ist natürlich aufgrund der historischen Vernachlässigung dieser Epoche. Und wenn wir jetzt mit den Nachfahren dieser Opfer sprechen, ergeben sich ja andere Anliegen. Das heißt wenn wir nachweisen können, dass ein Völkermord eine lange Geschichte hat – wir beginnen mit Kolonialismus, Kolonialismus führt zu Völkermord und dieser Völkermord hat ein impact bis heute und wir sehen diese Kontinuitäten heute bei den Nachfahren dieser Betroffenen -, dann sprechen wir nicht nur von irgendwelchen Zahlungen, irgendwelche Straßen aufzubauen oder, wie einige das jetzt nennen, Entwicklungszusammenarbeit und Brunnen aufbauen. Da reden wir von tatsächlicher Arbeit, der Würdigung einer ganzen Gruppe, wir reden auch von wirtschaftlichen Faktoren; Benachteiligung einer ganzen Gruppe aufgrund dieses Ereignisses; und diese Menschen sind jetzt verstreut auf der ganzen Welt. Und da kann man sich nicht zurücknehmen und sagen: „Wir reden jetzt im nationalen Kontext und verhandeln mit unserem counterpart. Wir sind eine Regierung – der ist eine Regierung“. Wir müssen es ernst meinen und sagen: wir suchen diese Gruppen. Sie sind da und sie machen Forderungen, jeden Tag machen sie Forderungen!
Und deswegen ist dieses Bekenntnis nach Versöhnung, nach Aussöhnung nicht ernst zu nehmen, bis wir die Betroffenen tatsächlich am Tisch haben. Das ist sehr wichtig.