Noa Ha, asiatisch-deutsche Stadtforscherin, arbeitet an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen zur Produktion des städtischen Raumes. Aus einer rassismuskritischen und dekolonialen Perspektive befasst sie sich mit der Kolonialität der europäischen Städte.

Noa Ha, asiatisch-deutsche Stadtforscherin, arbeitet an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen zur Produktion des städtischen Raumes. Aus einer rassismuskritischen und dekolonialen Perspektive befasst sie sich mit der Kolonialität der europäischen Städte.

Derzeit arbeitet sie an der TU Dresden am Zentrum für Integrationsstudien, davor forschte und lehrte sie einige Jahre an der TU Berlin am Center for Metropolitan Studies und an der HU Berlin. Seit mehreren Jahren ist sie im Vorstand des Migrationsrat Berlin-Brandenburg e.V. (MRBB) tätig und engagiert sich im asiatisch-deutschen Netzwerk korientation e.V..

Zu ihren Publikationen zählen:

  • „Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche | Aushandlungen | Perspektiven“, Zwischenraum Kollektiv (Hg.). Unrast Verlag. Münster (2017).
  • „Straßenhandel in Berlin. Öffentlicher Raum, Informalität und Rassismus in der
    neoliberalen Stadt“. Bielefeld: transcript Verlag (2016).
  • „Street Vending in the Neoliberal City. A Global Perspective on the Practices and Policies of a Marginalized Economy“. Graaff, Kristina und Noa Ha (Hrsg.). New York: Berghahn Books (2015).
  • ‚Wer ist in der Stadt? Rassismus und Stadt. Zülfukar Çetin im Gespräch mit Noa Ha‘, in: „Gespräche über Rassismus – Perspektiven & Widerstände“. Zülfukar Çetin und Savas Tas (Hrsg.), Berlin: Verlag Yilmaz-Günay (2015).
  • ‚Kritisches Weißsein‘, mit Andreas Schneider, in: „Handbuch Kritische Stadtgeographie“. Bernd Belina, Matthias Naumann und Anke Strüver (Hrsg.). Münster: Westfälisches Dampfboot (2014).
  • ‚Perspektiven urbaner Dekolonisierung: Die europäische Stadt als ‚Contact Zone‘‘. In: „s u b \ u r b a n. zeitschrift für kritische stadtforschung“. Bd.2, Heft 1 (2014).

„Reparationen können es nicht wieder gut machen, aber sie sind zumindest ein Bekenntnis dazu, dass etwas falsch war und dass man letztlich auch ein gemeinsames Unrechtsverständnis entwickelt.“

 - Noa Ha

„Reparationen können es nicht wieder gut machen, aber sie sind zumindest ein Bekenntnis dazu, dass etwas falsch war und dass man letztlich auch ein gemeinsames Unrechtsverständnis entwickelt.“

 - Noa Ha


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Also das Wort, was mir einfällt ist Neokolonialismus. Also in der Verbindung… zum Einen, weil eine koloniale Geschichte wieder… Also beim Humboldt Forum geht es ja ganz konkret darum, dass die ethnologische Sammlung aus Dahlem, sozusagen aus der Peripherie von Berlin, in die Mitte gebracht wird. Und am Anfang war das ja überhaupt nicht in Verbindung zu einer Kolonialgeschichte gesehen worden, sondern „Ach, wir haben so Schätze aus der Welt, die bringen wir dahin und es geht darum irgendwie diese Weltkulturen ins Gespräch zu bringen“. Und dann gab es eine Kritik daran und es gibt im Moment einen Prozess sich mit der deutschen Kolonialgeschichte auch kritisch auseinanderzusetzen, aber das ist ja ein Kontext in dem wir eigentlich nicht mehr in formalen kolonialen Beziehungen sind. Und deswegen ist es auf eine Art und Weise auch eine postkoloniale, weil es sozusagen nach diesen formalen Entkolonisierungsprozessen stattfindet. Aber was ich beobachte in diesen Zusammenhängen und das ist nicht nur für Berlin und Deutschland, dass es so Prozesse der kolonialen Affirmation gibt, also die auch mit Ende der 90er, mit Ende des Kalten Krieges -es auch eine Wiederbezugnahme auf diese Kolonialgeschichte gibt. Das sehe ich in verschiedenen Städten. Und die haben schon eine Tendenz, also diese neokoloniale Tendenz, die koloniale Gewalt zu verharmlosen, die kolonialen Kontinuitäten nicht zu benennen, die rassistische Gegenwart zu entkoppeln, also überhaupt den Zusammenhang nicht herzustellen. Und weil das passiert, und das was passiert würde ich als eine Normalisierung begreifen, die im Endeffekt eigentlich dazu führ[t] koloniale Verhältnisse wieder zu reproduzieren. Und die sind dann für den gegenwärtigen Kontext auch neokoloniale Reproduktionen. Deswegen. Das wäre das Wort was mir dazu einfällt.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ja, also das ist ja naheliegend und Deutschland ist ja auch eines der wenigen Länder die auch Erfahrung damit haben, also wenn Unrecht im Namen eines nationalen Projektes entstanden ist – wobei damals…es ist immer noch so ein bisschen die Frage nach der Nation, Deutschland ist ja eine relative junge Nation – aber dennoch die Frage danach, ja, was heißt wenn Unrecht getan wurde, die Verantwortung dafür zu übernehmen und dass dann Reparationen gezahlt werden. Und das ist auch nicht von der Hand zu weisen. Und wenn ja auch mittlerweile es so benannt wird, dass es ein Genozid war, dann besteht das Unrecht ja weiter fort, wenn das Unrecht als solches nicht anerkannt wird und es kann ja nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Und insofern ist das ein Teil, also für mich wäre das auch ein Teil eines Dekolonisierungsprozesses, um diese koloniale Gewalt oder neokoloniale Gewalt zu unterbrechen und da zu Formen von Reparationen und auch vor allen Dingen zu Prozessen zu kommen. Was wir ja einfach gar nicht wissen: Wer sind die Opfer? Was ist die Perspektive der Opfer? Was ist da eigentlich an Gewalt angetan worden? Dass wir ganz wenig darüber wissen welche Lücken, was da an Leere entstanden ist, weil so viele Menschen ermordet worden sind und da muss viel mehr dazu passieren. Also Reparationen können es nicht wieder gut machen, aber es ist zumindest ein Bekenntnis dazu, dass etwas falsch war und dass man auch letztlich ein gemeinsames Unrechtsverständnis entwickelt. Und das ist ja noch sehr in den Anfängen.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Das ist eine gute Frage. Also auf jeden Fall sollte es ein Informationszentrum geben, das ist eigentlich das Minimale. Ich bin gerade so ein bißchen unsicher, ob es eine zentrale Einrichtung geben sollte. Viel besser würde ich es finden: Es gibt eine zentrale Einrichtung und es gibt noch viele andere Einrichtungen. Also gerade in Berlin. Berlin ist sehr groß, es gibt viele Bezirke, es gibt viele historische Schichten. Es würde sich anbieten nicht nur den Fokus auf eine zentrale Stätte [zu legen], also weil wir es in Berlin auch gerade mit diesen ganzen Entwicklungen auch in der Stadtentwicklung sehr stark mit so einer Zentralisierung zu tun haben. Und ich denke viel interessanter wäre auf Bezirksebene da an politischer Bildungsarbeit an Informationsstätten das zu entwickeln, dass da viele tolle Sachen entstehen könnten. Also weil Berlin so unterschiedlich ist, so viele unterschiedliche Kieze und Bezirke hat. Ein zentrales Zentrum wäre schon gut, aber noch besser wäre eigentlich darüber hinaus noch viele verschiedene Zentren zu entwickeln und aufzubauen. Und auch dann deutlich zu machen wie sehr diese kolonialen Kontinuitäten auch im Alltag wirksam sind. Also weil meines Erachtens da wahnsinnig viel an Arbeit zu tun ist, wenn es darum geht Dekolonisierung ernst zu nehmen.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Das sind Massengräber. Also, es ist ganz schwer was dazu zu sagen. Weil das so verbunden ist mit so viel Gewalt und auch Dehumanisierung, dass den Menschen die dort…. Also “Gebeine” heißt ja, dass diese Menschen nicht beerdigt werden, dass sie nicht gewürdigt werden, dass sozusagen diese Würdigung, oder auch diese Verbindung von Leben und Tod – das ist völlig unterbrochen. Und dass damit ja auch eine Verobjektivierung einhergeht von Menschen, was immer auch Teil von rassistischer Logik war. Also Menschen zu dehumanisieren und davon zeugt das halt. Und das ist gruselig, unangenehm das zu wissen und dass es auch nicht ein Verständnis oder nur ein sehr vages Verständnis darüber gibt, dass es total Unrecht ist, Gebeine für Forschungszwecke zu benutzen. Und wir haben eine Geschichte dazu… wozu Menschen… also was passiert ist. Das ist kein Rassismus im Sinne von dass es so offensichtlich als rassistisch gedacht wird. Aber genau das ist der Weg den wir gehen müssen, um Dekolonisierung zu betreiben. Dass das verständlich wird, was das bedeutet, wenn diese Gebeine immer noch in den Archiven, die mal zu wissenschaftlichen Zwecken und wenn sie immer noch dort sind ja eigentlich immer noch zu wissenschaftlichen Zwecken dort aufbewahrt werden, Also ich find das ganz schwierig das so zu sagen, wenn ich weiß, dass das Gebeine sind. Und ja sofort eigentlich was passieren müsste… sich zu überlegen: Wo müssen sie wieder hin? Wem müssen sie zurückgegeben werden? Wie kann man da auch einen pietätvollen Umgang mit finden? Das sind ja ganz grundlegend ethische Fragen. Die werfen natürlich dann auf der anderen Seite ethische Fragen für Wissensproduktion auf. Also was wissen wir über das was wir eigentlich wissen. Und ich meine die ganze “Rassenkunde” war ja nur darauf ausgerichtet menschliche Körper zu vermessen. Aber die Gebeine sind ja nochmal ein extrem morbides Feld darin. Und dass das weiter so besteht und dass das nicht bearbeitet wird, das liegt natürlich dem zu Grunde, irgendwie nicht so richtig zu wissen: “Ist das jetzt Unrecht, was ist dieses Unrecht, wenn ja wie”… und viel Unwissenheit. Aber die Unwissenheit resultiert aus so einer Aberkennung kolonialer Geschichte, das nicht anzuerkennen… und das wirkt alles zusammen dann .

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Die halte ich für extrem wichtig. Obwohl ich jetzt an dieser Stelle sehr skeptisch bin, ob sie überhaupt gleichberechtigt stattfinden können. Also wenn ich davon ausgehe, dass es eine globale koloniale Arbeitsteilung gibt, die nicht nur auf einer globalen Ebene so organisiert ist, sondern auch bis in die lokalen Ebenen hinein. Und dass auch koloniale und rassistische Verhältnisse in Berlin sich reproduzieren. Was wir ja wissen, was wir ja sehen – wie Armut ethnisiert wird, wie soziale Verhältnisse zueinander stehen. Wenn es nun darum geht einen gleichberechtigten Prozess herzustellen dann muss man eine Menge… dann muss man sich wirklich sehr genau überlegen – also um zur Gleichberechtigung zu kommen muss eine Menge an Transformation passieren. Und das wird ein schwieriger Weg, weil das natürlich mit Umverteilung verbunden ist. Dass man ein Verständnis dafür hat wie diese kolonialen rassistischen Verhältnisse überhaupt wirken, wer von was wie betroffen ist- sei es repräsentationspolitisch, sei es von sozialen Verhältnissen, wer wo wie eingebunden ist und auch ein Verständnis für diese Kontinuitäten zu haben. Wenn das erstmal alles ist, dann würden wir anfangen über gleichberechtigte Zusammenarbeit nachdenken zu können. Was ich im Moment hier in Berlin, in Deutschland, aber auch in den Niederlanden und anderen Ländern sehe, ist dass wir ja noch weit davon entfernt sind, dass wir überhaupt so ein Verständnis davon haben wo man anfangen könnte sich zu überlegen o.k. was müsste passieren um zu einer Gleichberechtigung zu kommen? Insofern würde ich denken, alles was passiert sind nur so Annäherungen dahin. Die müssen passieren. Aber ich bin im Moment eher skeptisch, dass es von heute auf morgen möglich ist. Aber wenn ich das Ganze als einen Prozess der Dekolonisierung begreife, dann würde ich schon denken, dass eine Strategie dahingehend ist, gar nicht so sehr über die Gleichberechtigung nachzudenken, sondern darüber nachzudenken: „Was heißt es denn, wenn ich die Frage von Deutungshoheit abgebe?“. Also wenn die großen Institutionen, seien es die Museen, die Universitäten, sagen „Wir geben jetzt die Deutungshoheit ab und überlassen es jetzt den Gruppen die eigentlich von dieser kolonialen Gewalt betroffen sind, wenn sie ihre Perspektive enthüllen.“ Und auch diese Perspektive wird ja nicht eine Perspektive sein. Da gibt es auch viele widersprüchliche Perspektiven. Aber wir erfahren das nicht, weil das immer wieder reduziert wird und so weiter. Insofern denke ich gibt es viele Strategien, aber ob diese Frage der Gleichberechtigung hilfreich ist? Ich glaube das wird schwierig, weil wir noch so viele Hürden bewältigen müssen, wie wir zu dieser Umverteilung kommen. Und ich denke Deutungshoheit mal abzugeben wäre zumindest mal ein guter Schritt in eine richtige Richtung.