Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftlerin. Seit 2015 ist sie Lehrbeauftragte an der Alice Salomon Hochschule Berlin und seit 2016 Lehrbeauftragte am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) der Humboldt-Universität zu Berlin. 

Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftlerin. Seit 2015 ist sie Lehrbeauftragte an der Alice Salomon Hochschule Berlin und seit 2016 Lehrbeauftragte am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) der Humboldt-Universität zu Berlin. 

Zusammen mit Jule Bönkost leitet sie das IDB | Institut für diskriminierungsfreie Bildung in Berlin. Seit 2016 führt sie beim Antirassistisch-Interkulturellen Informationszentrum ARiC Berlin e. V. das Bildungsprojekt „Hier und Jetzt! Kolonialrassismus im Unterricht“ durch.

„Um uns mit diesen Auswirkungen zu beschäftigen, brauchen wir diejenigen, die diese Auswirkungen tagtäglich am eigenen Leib erfahren. Diejenigen, deren Lebensrealität geprägt ist von den Nachwirkungen und Kontinuitäten der deutschen Beteiligung am Kolonialismus.“

 - JOSEPHINE APRAKU

„Um uns mit diesen Auswirkungen zu beschäftigen, brauchen wir diejenigen, die diese Auswirkungen tagtäglich am eigenen Leib erfahren. Diejenigen, deren Lebensrealität geprägt ist von den Nachwirkungen und Kontinuitäten der deutschen Beteiligung am Kolonialismus.“

 - JOSEPHINE APRAKU


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Ein Wort?! Ich glaube, ich habe Schwierigkeiten ein Wort zu finden. Ich glaube es sind eher mehrere Worte, die mir da einfallen. Natürlich die typische Schwierigkeit mit dem Umgang von Museumsstücken, die auch da ausgestellt werden sollen, nämlich der schwierigen Überbrückung von einerseits kolonialen Raubgütern, die da einmal mehr ausgestellt werden sollen und die in der Regel nicht in ihren Kolonialen Kontext eingebettet werden, also das Verschweigen dessen einerseits und andererseits die Tatsache, dass wir gegenwärtig natürlich in rassistischen Machtstrukturen leben, die die gleichzeitige Anwesenheit von schwarzen Menschen und people of color enorm erschwert. Diese Brücke dazwischen. Vielleicht “Brücke”!

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Der aus meiner Sicht vielleicht vorgegliederte Schritt wäre definitiv erstmal die Anerkennung des Völkermords bzw. eine klare Positionierung und damit verbunden auch eine Verantwortungsübernahme. Und, eine Verantwortungsübernahme kann sicherlich auch in Reparationszahlungen münden. Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist zumindest zu bedenken, dass meine Perspektive als schwarze Deutsche zwar nicht irrelevant ist in diesem Zusammenhang, ich mich aber stärker beziehen will auf Delegationen, auf Gruppen von Nama und Ovaherero, die sich damit schon lange beschäftigen und deren Forderungen wir unterstützen wollen. Und wenn Reparationszahlungen, und ich könnte mir vorstellen, dass das der Fall ist, wenn das eine der Forderungen ist, dann finde ich, ist das eine unterstützenswerte Forderung.

Also, mit Blick auf die Frage nach Raparationszahlungen, finde ich es total wichtig diejenigen zu unterstützen, die da eine klare Position haben, die die Auswirkungen des deutschen Kolonialismus sozusagen am eigenen Leib erfahren und trotzdem finde ich auch wichtig zu sehen, was meine reale Position in diesem Zusammenhang sein kann. Ich bin eine schwarze Frau, die in Deutschland sozialisiert worden ist, ich habe eine deutsche Staatsbürger*innenschaft und meine Lebensrealität und auch die Nachwirkungen der Kolonialzeit, die ich erfahre, sind in Teilen andere als diejenigen, die vor Ort sind in Regionen, die tatsächlich betroffen waren von der deutschen Kolonialzeit. Das heißt, die Auswirkungen, mit denen ich mich hier beschäftige – zum Beispiel eine Anwesenheit von rassistischen Fremdbezeichnungen; in einer weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft zu leben, in der bestimmte rassistische Strukturen vorherrschend sind – sind einfach andere, als beispielsweise in Namibia. Und die Auseinandersetzung mit diesen unterschiedlichen Nachwirkungen fällt entsprechend unterschiedlich aus. Das heißt, ich sehe meinen Job quasi darin, diejenigen zu unterstützen, die in Teilen völlig andere Nachwirkungen erfahren müssen, als es für mich der Fall ist. Wenn es die Forderung nach Reparationszahlungen gibt – und ich weiß, dass es sie gibt – dann sehe ich meine Arbeit auch darin, diese Forderung zu unterstützen.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es ein zentrales sein muss. Ich finde es ist schon wichtig, diese unterschiedlichen Zeitpunkte als solche kenntlich zu machen. Also einfach weil Versklavung ja zeitlich durchaus auch vor dem offiziellen Eintreten des deutschen Kolonialismus stattgefunden hat. Zum Beispiel mit Blick auf die NS-Zeit gibt es ja durchaus Stelen, die ähnlich gestaltet sind und ich fänds schön, wenn es ein ähnliches Konzept geben würde, dass sich [einem bestimmten] Zeitpunkt annimmt und sich damit kritisch beschäftigt. Weil eine Beschäftigung mit diesen Themen findet zwar vermehrt statt – also gerade auch mit Blick auf Kolonialismus: Ich denke da an die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum beispielsweise – und trotzdem ist diese Auseinandersetzung in der Regel eben nicht besonders kritisch. Sie greift vielmals zurück auf Stereotypisierungen, sie greift vielmals zurück auf Romantisierungen, der Vorstellung davon, dass die Kolonialzeit ja eben nicht nur eine in Anführungszeichen „schlechte Zeit war“, sondern auch den ehemals Kolonisierten Vorteile gebracht hätte. Das finde ich übrigens spannend, weil zumindest die Diskurse darum insofern vergleichbar sind mit der NS Zeit, als dass es ja durchaus auch Menschen gibt, die behaupten, Hitler hätte nicht alles schlecht gemacht, er hätte auch Autobahnen gebaut. Das geht in eine ähnliche Richtung. Ich fänd wichtig, dass es Erinnerungskonzepte gibt, die sich dem Thema Versklavung und auch vor allem der deutschen und ehemals preußischen Beteiligung annehmen und ein Konzept mitdenken, in dem Kolonialismus thematisiert werden kann. Bezeichnend finde ich, dass diese mangelnde kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus sich natürlich auch wiederspiegeln muss und niederschlagen muss in der schulischen Ausbildung. Und da denke ich immer wieder an ein Beispiel: Das ist aus dem aktuellen Geschichtsschulbuch für die Mittelstufe, also ungefähr 9.,10. Klasse und da wird tatsächlich die Frage gestellt: Welche Vor- und Nachteile hatte die Kolonialzeit auf die ehemals Kolonisierten? Und das spannende an dieser Frage ist ja, dass sie impliziert, dass es Vorteile gegeben hat für diejenigen, die besetzt und ausgebeutet worden sind. Und ich finde das zeigt eben sehr deutlich, wie wenig kritisch die Auseinandersetzung bisher ist und wie stark koloniale Legitimationsmuster sich bis in die Gegenwart in Bildung widerspiegeln und niederschlagen. Und in diesem Zusammenhang finde ich ganz wichtig, dass eine Auseinandersetzung mit diesen Themen einerseits Geschichte in Frage stellt, also wie Geschichte gemacht wird, dass sie eben nicht neutral oder objektiv ist, sondern wir da sehr [unterschiedliche] Perspektiven haben und in der Regel eben nicht die Perspektiven von Schwarzen Personen und People of Color und [insbesondere] denjenigen, bei denen die Gewaltausübung real vor Ort angekommen ist. Welche Möglichkeiten haben wir [andererseits], alternative Wissensbestände, nämlich genau die, die ich gerade angesprochen habe, auch stärker mit in die schulische Bildung einfließen zu lassen und zwar nicht einfach nur stellvertretend, um den eigenen Punkt zu stützen – weil das passiert real -, sondern wirklich für sich sprechen zu lassen und eben auch gegenwärtige Erzählungen zum Thema Kolonialismus, die sehr stark romantisiert sind, aufzubrechen.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Ich halte die nicht nur für wichtig, ich halte die sogar für unabdingbar. Wenn wir uns mit dem Thema Kolonialismus beschäftigen, müssen wir uns damit beschäftigen, welche realen Auswirkungen, sowohl mit Blick auf die Vergangenheit als auch mit Blick auf die Gegenwart und letztlich dann auch mit Blick auf die Zukunft, die deutsche Beteiligung am Kolonialismus, zum Beispiel in Namibia, aber natürlich auch in Tansania oder Togo oder auch Kamerun hat und inwiefern wir damit umgehen. Um uns mit diesen Auswirkungen zu beschäftigen, brauchen wir diejenigen, die diese Auswirkungen tagtäglich am eigenen Leib erfahren, deren Lebensrealität geprägt ist auch von den ja Nachwirkungen und Kontinuitäten der deutschen Beteiligung am Kolonialismus.