Hervé Tcheumeleu


Hervé Tcheumeleu ist Geschäftsführer des Afrika Medien Zentrum e. V. in Berlin. Der Verein wurde mit dem Ziel gegründet, den interkulturellen Austausch unter Afrikaner_innen mit ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, sowie den Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft zu fördern.

Hervé Tcheumeleu ist Geschäftsführer des Afrika Medien Zentrum e. V. in Berlin. Der Verein wurde mit dem Ziel gegründet, den interkulturellen Austausch unter Afrikaner_innen mit ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, sowie den Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft zu fördern.

Zudem setzt er sich gegen Rassismus und Diskriminierung durch interkulturelle Bildung und eine faire Darstellung des Afrika-Bildes in Deutschland ein. Das Afrika Medien Zentrum organisiert alljährlich das KENAKO-Afrika-Festival auf dem Alexanderplatz und regelmäßige Lesungen, Workshops, Wanderausstellungen und Filmabende zu entwicklungspolitischen Themen, die den afrikanischen Kontinent betreffen.  

Außerdem gibt der Verein in Kooperation mit dem LoNam Verlag LoNam – das Afrika-Magazin und das Online-Sportmagazin „African Challenge“ heraus. Neben der Redaktion beherbergt das Medien Zentrum auch den einzigen afrikanischen Leseraum seiner Art in Berlin.

„Wenn es um einen Dialog der Kulturen geht, dann bedeutet das auch, dass alle beteiligten Kulturen gleichberechtigt an einem Tisch sitzen sollen und müssen, um das Projekt vorzubereiten."

 - Hervé Tcheumeleu

„Wenn es um einen Dialog der Kulturen geht, dann bedeutet das auch, dass alle beteiligten Kulturen gleichberechtigt an einem Tisch sitzen sollen und müssen, um das Projekt vorzubereiten."

 - Hervé Tcheumeleu


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Das ist ein sehr gutes Projekt, aber mit vielen fragwürdigen Methoden. Und warum: Das Projekt an sich selbst, einen Dialog der Kulturen zu fördern und zu präsentieren ist großartig, aber wie geht man mit diesen Kulturen um , mit den Menschen, die im Prinzip davon betroffen sind? Wie geht man mit denen um? Tritt man in Kontakt mit diesen Leuten? Redet man mit diesen Leuten? Oder, wenn es Gespräche gibt – weil ich weiß, dass es Gespräche gab und gibt – aber, was für ein Gespräch ist das? Ist das ein Gespräch, wo man nur sagt, was man tut, ohne zu hören, was die anderen davon denken? Das heißt: Man bestimmt und man denkt, dass der eigene Wille wichtiger ist, als der der wirklich Betroffenen. Weil: Was wird dann dort stehen? Ich spreche von de] Problematik: Wenn es darum geht, die Kultur Deutschlands zu zeigen – warum nicht? Das ist sehr gut. Immerhin ist Berlin die Hauptstadt und das Kaisergebäude ist auch eine Geschichte Deutschlands. Wenn es darum geht auch die Geschichte anderer Bevölkerungen darzustellen, dann denke ich, dass es nur möglich wäre in Kontakt und in Absprache mit diesen Leuten. Und, das ist, warum ich sage: Das ist eine fragwürdige Methode.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Auf jeden Fall, ja. Ich möchte nicht mit anderen Bevölkerungsgruppen vergleichen, aber man sieht, was mit anderen Gruppen passiert, wo Deutschland Reparationen zahlt, gezahlt hat und immernoch zahlt, sei es an die Griechen, sei es an die Juden, sei es an Frankreich.
Das hat die Geschichte so gerichtet. Aber, warum, warum wird es nicht bei Afrikanern gemacht? Warum wird das nicht für Leute von Herero, Nama Abstammung, die Leute aus Benin, aus Kamerun sogar, aus Togo, warum wird es nicht gemacht? Die Antwort auf diese Frage, habe ich nicht, weil ich das nicht verstehen kann.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Auf jeden Fall, ja. Ich glaube, Berlin, mit seinen Positionen, mit seinem historischen Hintergrund – immerhin wurde hier 1885 die Berliner Konferenz ausgerichtet, wo Afrika wirklich, wie ein Stück Kuchen, geteilt wurde. Das heißt: Es muss… Es ist eine Frage der Weltoffenheit – man sagt immer: Berlin ist eine offene Stadt. Man sagt immer: Deutschland ist, ich würde sagen nicht, multikulturell. Nur das, nur aufgrund dieser Verantwortung, dass die Welt immer globalisierter wird, dass ein Teil der Bevölkerung, die hier lebt- die Geschichte dieses Teils nicht kritisch anerkannt wird- und, vor allem, diskriminiert wird, allein schon aus diesem Grund sollte es – für mich- ein Mahnmal geben.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Es ist für mich schwierig, über andere Länder zu sprechen. Ich kann nur für den Fall Kamerun sprechen – ich komme selber aus Kamerun – und ich bin Bamileke und ich weiß, was mit unseren Ahnen passiert. Ich selbst muss jetzt in weniger als einem Monat nach Hause gehen, um meinen verstorbenen Vater zu ehren. Er ist schon beerdigt, ich war schon da, aber ich muss wieder hingehen, um ihn zu ehren. Und, das ist wichtig für unsere Tradition und das erlaubt mir und gibt mir mein Gleichgewicht. Das heißt: Wenn man mich von diesen Resten [Gebeinen] meines verstorbenen Vaters trennt, hat man etwas, was mir gehört, rausgenommen, von mir selbst. Und das ist was ich denke, über die Reste, die Überreste von Herero und Nama und allen anderen. Weil ich glaube: Jeder Mensch braucht sein Gleichgewicht und jeder Mensch hat seinen Glauben und seine Methoden, um dieses Gleichgewicht zu erreichen. Und für uns, für viele Länder Afrikas und vor allem für mich als Bamileke – Kamerun ist die Ehrung des verstorbenen Ururvaters, des Vaters, der Mutter, ein ganz besonderer Akt. Und indem diese Überreste hier in Deutschland bleiben, verwehrt man vielen Nachkommen dieser Verstorbenen ihr Gleichgewicht zu haben und das finde ich eine Schande.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Ich glaube das habe ich schon am Anfang gesagt: Das Humboldtforum wird Dialog der Kulturen genannt, als Geschenk von Deutschland an die Welt, so sagen sie. Wenn es um einen Dialog der Kulturen geht, bedeutet das auch, dass alle beteiligten Kulturen gleichberechtigt an einem Tisch sitzen sollen und müssen, um das Projekt vorzubereiten. Das ist einfach so.

Woran liegt es, dass diese Beteiligung nicht stattfindet?

Ich glaube, es hatte sehr viele politische Hintergründe. Es ist die Angst. Es ist die Angst, dass, wenn man anerkennt, was in der Geschichte passiert ist, dass es dann zu Reparationen, Klagen und so weiter kommen muss.
Ich weiß, dass kleine Schritte in diese Richtung gemacht werden. Es wird schon im deutschen Parlament diskutiert. Aber es braucht eine richtige Anerkennung und vor allem eine Bitte um Verzeihung. Das muss jetzt passieren. Und, meine Sorge und meine Frage ist immer: Warum wird das bei anderen Völkern gemacht – ich wiederhole: griechische Geschichte, Franzosen, ich will es nicht sagen: die Juden. Warum wurde es, wird es bei anderen Völkern gesagt und gemacht? Warum nicht bei den Afrikanern, die 100 Jahre so massakriert, versklavt und immer noch diskriminiert werden?


Iman Attia


Iman Attia ist Professorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin, wo sie verantwortlich ist für die Module zu Rassismus und Migration.

Iman Attia ist Professorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin, wo sie verantwortlich ist für die Module zu Rassismus und Migration.

Diese sind auch ihre Arbeitsschwerpunkte, darunter spezifisch Cultural Studies, Postcolonial Studies, dekoloniale Studien, Orientalismus, antimuslimischer Rassismus und in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis zu anderen Formen der Kolonisierung, der Aneignung, der Zerstörung von Wissen, der machtvollen gesellschaftlichen Verhältnisse. Dabei spielen aus ihrer Sicht immer auch Geschlecht, Sexualität, Klasse, zunehmend, aber immer noch viel zu wenig, eine Rolle.

Auch beschäftigt sie sich mit Verbindungen von Rassismus und Ableismus, Migration und Behinderung, somit auch andere Formen der Interdependenz und Interrelation verschiedener gesellschaftlicher Machtverhältnisse miteinander. Insbesondere interessiert sie sich für die Verschränkung von Diskursen, Kultur, Wissen und Macht, also den Fragen: Wie werden bestimmte Bilder über das Eigene und das Andere hervorgebracht? Wie wird überhaupt so etwas wie das Eigene und das Andere hervorgebracht, wie hat sich das historisch entwickelt, wo gibt es Brüche und Widersprüche, an denen produktiv angesetzt werden kann? Dabei nimmt sie eine Perspektive von Widerständigkeit an, von alternativen Sichtweisen, Erzählungen, von kontrapunktischen Interventionen, um aufzubrechen, eben auch in dem andere Geschichten erzählt werden.

"Diejenigen, die ausgebeutet worden sind, deren Leben zerstört worden ist, deren sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, natürlichen Ressourcen zerstört worden sind, wo sehr viel angeeignet worden ist, sind nicht nur zentral zu berücksichtigen oder zu hören, sondern als maßgebliche Akteure einzubeziehen."

 - IMAN ATTIA

"Diejenigen, die ausgebeutet worden sind, deren Leben zerstört worden ist, deren sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, natürlichen Ressourcen zerstört worden sind, wo sehr viel angeeignet worden ist, sind nicht nur zentral zu berücksichtigen oder zu hören, sondern als maßgebliche Akteure einzubeziehen."

 - IMAN ATTIA


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Also, wenn ich nur ein Wort nennen darf zum Humboldt Forum beziehungsweise zum Berliner Schloss, dann fällt mir ein, dass es ein falsches Signal ist. Ein falsches Signal, zur falschen Zeit, am falschen Ort, weil es ein sehr kostspieliges Projekt ist. Das Geld hätte man sicherlich anders -das kommt ja nachher bei den weiteren Fragen auch noch zum tragen- anders ausgeben können. Zum Beispiel in dem man versucht Dinge wieder gut zu machen, aber auch in dem man andere historische Ereignisse würdigt, ihre Aufarbeitung finanziert, ein Bewusstsein dafür schafft, worin Deutschland verstrickt gewesen ist und nach wie vor verstrickt ist. Von daher, Ideen gäbe es genug, wie man so viel Geld investieren kann, an so einem zentralen Ort versuchen kann Dinge aufzuarbeiten, ihrer Gedenken kann, mahnen kann. Und das Signal…Also nicht nur weil man mit dem Geld etwas anderes anfangen könnte, sondern eben auch was damit signalisiert wird, knüpft an an Personen, an eine Zeit, an einen Umgang mit Geschichte, der eigentlich hätte der Vergangenheit angehören sollen. 

Also es hat etwas sehr restauratives und ich denke Berlin hat da mehr zu bieten. Es gibt hier so viel schöne Initiativen, so viel kreative und politische Kraft, die man hätte bündeln können um etwas wirklich Neues, etwas Kreatives, etwas politisch in eine andere Richtung Weisendes, an so einem zentralen Platz auch hätte installieren können, dem Raum geben können, vielleicht auch irgendwas – tatsächlich, von der Form her- Zeitgenössischeres, Interessanteres, als so ein altes Schloss aufzubauen.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ja, der Genozid an den Herero und Nama sollte in erster Linie auch tatsächlich offiziell anerkannt werden. Es fehlt ja immer noch eine offiziell ausgesprochene Anerkennung, eine Entschuldigung, und damit eben zusammenhängend auch der Versuch Dinge, soweit es geht -man kann manches nicht mehr gut machen, aber zu versuchen- das was gut zu machen ist, was rückgängig zu machen ist, was aufzuarbeiten ist, auch zu tun. Und dazu gehören natürlich Reparationszahlungen. Die Regierung argumentiert zwar, dass an Namibia mehr an Entwicklungshilfe geht im Zusammenhang mit der gemeinsamen Geschichte, wie es so schön heißt, aber zum Einen ist der Begriff einer der tatsächlich eher an die unheilvolle Geschichte anknüpft, also Entwicklungshilfe wird immer von oben nach unten geleistet. Er ist geknüpft an bestimmte Bedingungen, ist also nichts was Unrecht versucht wieder gut zu machen, sondern schafft im Grunde wieder neue Abhängigkeiten. Er ist von einer Hybris her, von einer Position her formuliert, die paternalistisch ist, die so etwas wie eine Zivilisierungsmission, eine Entwicklungsvision beinhaltet, aus einer Perspektive, die denke ich Deutschland nicht gut ansteht im Zusammenhang mit dem Genozid, den es vor über 100 Jahren dort begangen hat. Insofern denke ich wäre es an der Zeit tatsächlich anzuerkennen was da passiert worden ist, offiziell anzuerkennen, und dann eben mit den Herero und Nama Gemeinschaften gemeinsam zu überlegen, wie das, was gut zu machen ist, wieder gut gemacht werden kann, Dinge wieder in Ordnung gebracht werden können, wie Entschuldigungsleistungen fließen können: Also nicht nur materieller Art, sondern auch noch anderer Art.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ja, Berlin ist ein Ort der sehr geschichtsträchtig ist, der in der Vergangenheit sehr geschichtsträchtig gewesen ist und wo man an sehr vielen Stellen, auch gerade im Zentrum aber auch in den Peripherien, erinnert wird. Und das ist auch gut so, dass man erinnert wird, sich auseinandersetzen kann mit verschiedenen Phasen der deutschen Geschichte, der Berliner Geschichte. Es gibt sehr kreative, sehr innovative, auch weniger kreative und innovative, sehr viele Formate sich mit verschiedenen Phasen der Geschichte auseinanderzusetzen. Nur eben nicht zum Kolonialismus. Also das ist eine richtige Leerstelle, eine große Leerstelle in Berlin. Und ich denke es würde zum Einem der Hauptstadt, aber eben auch der pulsierenden Großstadt Berlin gut anstehen hier das Potenzial, das die verschiedenen Communities mitbringen, das verschiedene NGOs, Zivilgesellschaft, Kreative und so weiter mitbringen zu bündeln und so etwas wie ein großes Zentrum oder auch mehrere kleine zu eröffnen, wo auf unterschiedliche Art und Weise dem Kolonialismus, der Verstrickung in den Versklavungshandel, aber auch aktueller neuer Formen von internationalen Abhängigkeiten, neokolonialen Strukturen, rassistischen Strukturen gedacht wird , sie aufgearbeitet werden. Zum Beispiel so etwas wie Workshops für Schulen anzubieten, geführte Touren zu verschiedenen Themenschwerpunkten. Also wir haben ja Modelle in Berlin wie man sehr schön und sehr kreativ und sehr kritisch und sehr reflexiv und sehr differenziert Geschichte aufarbeiten kann und mit Geschichte umgehen kann, sie für Berlin Besucher_innen, für Schulklassen, für verschiedene Altersgruppen, für einzelne Besucher_innen auch zugänglich machen kann – mit digitalen Medien, mit künstlerischen Medien, mit pädagogischen Methoden. Und ich denke es wäre an der Zeit, also nicht nur ein Mahnmal das gedenkt, und selbst das wäre an der Zeit, aber darüber hinaus tatsächlich ein Zentrum [einzurichten], in dem eine aktive, reflexive, differenzierte Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus und mit dem deutschen Beitrag und der Verwobenheit mit dem Kolonialismus stattfindet.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Ja es lagern in deutschen Museen in verschiedenen Beständen menschliche Gebeine, die im Zusammenhang mit dem Kolonialismus – “erworben”, heißt es teilweise, wurden- die hergebracht worden sind, die gestohlen worden sind, die entführt wurden sind – ich weiß nicht welcher Begriff da angemessen ist. Die gebracht worden sind, quasi. Schädelknochen- zum Teil zur Erinnerung, zu Demonstrationszwecken, aus irgendwelchen nostalgischen Gründen, aber eben auch zur Rassenforschung. Die dazu beitragen sollte so etwas wie eine menschliche Rasse von einer anderen zu unterscheiden, sie zu erforschen. Und diese Gebeine lagern zum Teil immer noch zu Hunderten und vielleicht sogar zu Tausenden in deutschen Museen, in Krankenhäusern, in Archiven, in Kellern in Schuhkartons aufbewahrt. Und sie werden zurückgefordert. Sie werden von den Nachfahren der Ermordeten, der Getöteten, der entführten Gebeine zurückgefordert, um sie begraben zu können, um sie beerdigen zu können, um sie wieder in die Heimat zu bringen. Und das ist tatsächlich ein Skandal, dass sich da die verschiedenen Museumsdirektionen, die Regierung und all die Beteiligten so schwer tun, sich zu verabschieden von den Gebeinen und eigentlich nicht von sich aus auf die Idee gekommen sind, dass die Zeit der Rasseforschung eigentlich vorbei sein sollte und die Zeit eben plündernd durch die Welt zu gehen und mitzunehmen was einem so gefällt auch vorbei sein sollte und dass die Überreste der Toten den Angehörigen zurückzugeben sind.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Ja, was die Beteiligung der Nachfahren an der Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit anbelangt: Auch das sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass diejenigen, die ausgebeutet worden sind, deren Leben zerstört worden ist, deren soziale, wirtschaftliche, kulturelle, natürliche Ressourcen zerstört worden sind, wo sehr viel angeeignet worden ist, dass zumindest an diesem Punkt der Aufarbeitung der Geschichte sie nicht nur zentral zu berücksichtigen oder zu hören sind, sondern als maßgebliche Akteure einzubeziehen sind. Also – dass hier eher die Fördereinrichtungen aber auch die Akteure/Akteurinnen der deutschen Gesellschaft sich Rat holen, sich beraten lassen, sich unterstützen lassen von denjenigen, die unter dem Kolonialismus gelitten haben. Die zum Einem aus der Perspektive derjenigen, die darunter gelitten haben, ganz andere Geschichten zu erzählen haben, auch ein ganz anderes Interesse haben, die aber tatsächlich auch eine ganz andere Intensität der Auseinandersetzung über die Jahre hatten als wir hier. Also im Unterschied zu Schulkindern, von mir aus, in der Bundesrepublik, die ja in der Regel nicht wissen, dass es so etwas wie den deutschen Kolonialismus überhaupt gegeben hat, wachsen damit die Kinder in den ehemaligen Kolonien auf. Das heißt sie bringen auch sehr viel mehr Wissen, ganz anderes Wissen, sehr viel differenzierteres Wissen mit. Wir wären gut beraten uns beraten zu lassen. Insofern geht es dabei nicht nur um eine moralische Einbeziehung, die auch wichtig ist, sondern tatsächlich um eine, die auch von den Erfahrungen, von den Erkenntnissen und wie gesagt aber eben auch von der Perspektive derjenigen [Nachfahren der Kolonisierten] nur profitieren kann. Aber es geht eben tatsächlich auch darum die verschiedenen Perspektiven und hier vor allen Dingen die Perspektiven der Ausgebeuteten, der, deren Wissen angeeignet worden ist, ihnen nun Raum zu geben ihr Wissen selbst darzustellen und ihre Sichtweisen selbst darzustellen. Und ich denke das könnte auch für die berliner, aber auch für die bundesdeutsche Öffentlichkeit, insgesamt, interessant sein, sich nicht nur immer im eigenen Wissen und in den eigenen Wahrnehmungen zu bewegen, sondern auch von außen einige Perspektiven auf die gemeinsame Geschichte präsentiert zu bekommen, einige Denkanstöße, Diskussionsbeiträge sich anzuhören.

Ergänzungen:

Vielleicht wäre noch wichtig zu ergänzen, dass wir sehr häufig von DER deutschen Perspektive und DER Perspektive der ehemaligen Kolonien, oder jetzt in dem Fall der Herero und Nama sprechen. Und was ich schon wahrnehme ist, dass es auch hier in der Gesellschaft sehr viele kritische Stimmen gibt, sehr viele Stimmen nicht nur aus den diasporischen Communities sondern auch aus der weißen Mehrheitsgesellschaft, die dieses Schloss für überflüssig halten, die sehr gerne auch in Kauf nehmen würden, weniger zu verdienen oder nicht so im Überfluss zu leben, wenn sie mit der Geschichte der Nation, deren Teil sie sind, wenn sie da ein etwas reineres Gewissen haben könnten – und das ja auch diese Stimmen nicht gehört werden. Wenn so über die Köpfe der gesellschaftskritischen Positionen hinweg, von mir aus, so ein Schloss gebaut wird, so ein repräsentatives, teures, an die alten Zeiten anknüpfendes – also wer wird da hingehen in dieses Schloss? Das ist irgendeine bestimmte, ja wahrscheinlich Bildungselite, die sich als Bildungselite oder als Bildungsbürgertum versteht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass auch sehr viele weiße Berliner_innen, die zum Einem aus einer gesellschaftskritischen Ecke kommen oder auch ein Bedürfnis danach haben, die eigene Geschichte etwas differenzierter und kritischer dargestellt und reflektiert zu sehen, sehr gerne zu einer anderen Stätte gehen würden, als zu der, die da gerade gebaut wird. Aber auch wenn sie methodisch und didaktisch etwas prickelnder oder etwas ansprechender gestaltet wäre und dass man vielleicht auch über solche kreativen  Methoden dann auch mit bestimmten Themen an Gruppen herankäme, die ja in Berlin sehr stark vertreten sind, die sich aber sich mit solchen Themen noch nicht beschäftigen. Also dass auch aus der Mehrheitsgesellschaft heraus hier bestimmte Bedürfnisse nicht gesehen werden, wenn quasi immer wieder angeknüpft wird an irgendeine Größe, an irgendein Selbstbild, das tatsächlich auch die eigene Gesellschaft so nicht ungebrochen teilt. Also auch aus dieser Ecke, denke ich, sollte die Kritik gehört werden und die Bedürfnisse gehört werden. Aber jetzt in diesem konkreten Fall, wo es tatsächlich um so etwas wie Gebeine, wie Kolonialismus, wie Reparationszahlungen geht, sind natürlich die Stimmen derjenigen, die da zu Opfern gemacht worden sind, diejenigen die maßgeblich sind. Also unabhängig davon jetzt ob es innerhalb der weißen Gesellschaft auch Kritik gibt oder nicht, sind diese Stimmen natürlich die maßgeblichen.


Israel Kaunatjike


Israel Kaunatjike 1947 geboren in Namibia, lebt seit mehr als 30 Jahren in Berlin und arbeitet als Bildungsreferent zu dem Schwerpunkt deutsche Kolonialgeschichte in Deutsch-Südwestafrika über die Zeit der Apartheid bis ins heutige Namibia. 

Israel Kaunatjike 1947 geboren in Namibia, lebt seit mehr als 30 Jahren in Berlin und arbeitet als Bildungsreferent zu dem Schwerpunkt deutsche Kolonialgeschichte in Deutsch-Südwestafrika über die Zeit der Apartheid bis ins heutige Namibia. 

Er setzt sich als Herero-Nachfahre und -Aktivist dafür ein, dass die deutsche Regierung Verantwortung für ihre Kolonialverbrechen im heutigen Namibia übernimmt.

„Zum Beispiel 1884: Diese Aufteilung Afrikas hat auch in Berlin stattgefunden und in den Sklavenhandel war Deutschland auch involviert. Also das heißt: Ein Denkmal ist sehr wichtig für die neue Generation, um sich zu informieren und vielleicht diese Fehler nicht noch einmal zu machen, die damals passierten.“

 - ISRAEL KAUNATJIKE

„Zum Beispiel 1884: Diese Aufteilung Afrikas hat auch in Berlin stattgefunden und in den Sklavenhandel war Deutschland auch involviert. Also das heißt: Ein Denkmal ist sehr wichtig für die neue Generation, um sich zu informieren und vielleicht diese Fehler nicht noch einmal zu machen, die damals passierten.“

 - ISRAEL KAUNATJIKE


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Also für mich bedeutet Humboldt Forum Raub, Diebstahl und das heißt all diese Gegenstände, all diese Kulturgüter, die in diesem Museum sind, sind einfach auf betrügerische Art und Weise hierher nach Deutschland verschleppt worden und das heißt das ist einfach Diebesgut, nach meiner Meinung. Es ist bisschen radikaler gesagt, aber das ist für mich Diebesgut und die gehören nicht in dieses Museum, die gehören den Ländern aus denen sie stammen. 

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ich finde das ist… das ist ein Muss, das heißt Deutschland ist verpflichtet nach all dieser Geschichte, dem Völkermord gegen die Hereros und Nama, Landraub, Viehraub, die Vertreibung von Menschen, finde ich, dass Deutschland verpflichtet ist, Reparationen zu bezahlen.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ich finde, dass Denkmäler und überhaupt  auch ein Informationszentrum zum Beispiel sehr sehr hilfreich sind und sowas gehört zu einer Aufarbeitung und einer Geschichte. Zum Beispiel diese Aufteilung Afrikas 1884  hat auch in Berlin stattgefunden und in den Sklavenhandel war Deutschland auch involviert. Also das heißt ein Denkmal ist sehr wichtig, damit sich die neue Generation dazu informieren kann und um vielleicht diese Fehler nicht noch einmal zu machen, die damals passierten.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Die Gebeine und Schädel, die hier in Deutschland in Museen oder Privatsammlungen sind, müssen unbedingt nach Namibia zurück. Also das gehört überhaupt nicht hierher, das ist menschenunwürdig und das ist… die Menschen haben eine… die müssen zuhause beerdigt werden. Also das heißt wir fordern, dass die Gebeine so schnell wie möglich nach Hause gebracht werden. Das ist unsere Forderung, die wir seit vielen Jahren fordern. Bis jetzt hatten wir zweimal Überführungen von Gebeinen und es sind noch viele hier in Berliner Museen. Und das finde ich wichtig, dass sie einfach wieder nach Hause kommen.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Wie wir wissen gibt es jetzt Verhandlungen zwischen den zwei Regierungen, der namibischen und der deutschen Regierung. Und die Community, die Opfer Communities, die sind überhaupt nicht beteiligt oder sind ausgeschlossen. Das heißt die Namas und Hereros sind ausgeschlossen. Und sie repräsentieren über 95% der Opfer! Und das heißt das geht ohne uns über uns – gar nicht. Also das heißt das war eine Resolution im namibischen Parlament wo alle Parteien zugestimmt haben, 2006, dass die namibische Regierung nur als Schiedsrichter dabei sein soll und nicht als Hauptverhandler, Verhandlungspartner von Deutschland. Aber wie wir jetzt wissen, Namibia ist jetzt Befehlsempfänger von Deutschland und die lassen uns einfach draußen und wir werden gar keine Entscheidung, die diese zwei Partner treffen, ohne uns, wir werden es nicht anerkennen. Das heißt unser Kampf wird weitergehen.


Josephine Apraku


Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftlerin. Seit 2015 ist sie Lehrbeauftragte an der Alice Salomon Hochschule Berlin und seit 2016 Lehrbeauftragte am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) der Humboldt-Universität zu Berlin. 

Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftlerin. Seit 2015 ist sie Lehrbeauftragte an der Alice Salomon Hochschule Berlin und seit 2016 Lehrbeauftragte am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) der Humboldt-Universität zu Berlin. 

Zusammen mit Jule Bönkost leitet sie das IDB | Institut für diskriminierungsfreie Bildung in Berlin. Seit 2016 führt sie beim Antirassistisch-Interkulturellen Informationszentrum ARiC Berlin e. V. das Bildungsprojekt „Hier und Jetzt! Kolonialrassismus im Unterricht“ durch.

„Um uns mit diesen Auswirkungen zu beschäftigen, brauchen wir diejenigen, die diese Auswirkungen tagtäglich am eigenen Leib erfahren. Diejenigen, deren Lebensrealität geprägt ist von den Nachwirkungen und Kontinuitäten der deutschen Beteiligung am Kolonialismus.“

 - JOSEPHINE APRAKU

„Um uns mit diesen Auswirkungen zu beschäftigen, brauchen wir diejenigen, die diese Auswirkungen tagtäglich am eigenen Leib erfahren. Diejenigen, deren Lebensrealität geprägt ist von den Nachwirkungen und Kontinuitäten der deutschen Beteiligung am Kolonialismus.“

 - JOSEPHINE APRAKU


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Ein Wort?! Ich glaube, ich habe Schwierigkeiten ein Wort zu finden. Ich glaube es sind eher mehrere Worte, die mir da einfallen. Natürlich die typische Schwierigkeit mit dem Umgang von Museumsstücken, die auch da ausgestellt werden sollen, nämlich der schwierigen Überbrückung von einerseits kolonialen Raubgütern, die da einmal mehr ausgestellt werden sollen und die in der Regel nicht in ihren Kolonialen Kontext eingebettet werden, also das Verschweigen dessen einerseits und andererseits die Tatsache, dass wir gegenwärtig natürlich in rassistischen Machtstrukturen leben, die die gleichzeitige Anwesenheit von schwarzen Menschen und people of color enorm erschwert. Diese Brücke dazwischen. Vielleicht “Brücke”!

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Der aus meiner Sicht vielleicht vorgegliederte Schritt wäre definitiv erstmal die Anerkennung des Völkermords bzw. eine klare Positionierung und damit verbunden auch eine Verantwortungsübernahme. Und, eine Verantwortungsübernahme kann sicherlich auch in Reparationszahlungen münden. Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist zumindest zu bedenken, dass meine Perspektive als schwarze Deutsche zwar nicht irrelevant ist in diesem Zusammenhang, ich mich aber stärker beziehen will auf Delegationen, auf Gruppen von Nama und Ovaherero, die sich damit schon lange beschäftigen und deren Forderungen wir unterstützen wollen. Und wenn Reparationszahlungen, und ich könnte mir vorstellen, dass das der Fall ist, wenn das eine der Forderungen ist, dann finde ich, ist das eine unterstützenswerte Forderung.

Also, mit Blick auf die Frage nach Raparationszahlungen, finde ich es total wichtig diejenigen zu unterstützen, die da eine klare Position haben, die die Auswirkungen des deutschen Kolonialismus sozusagen am eigenen Leib erfahren und trotzdem finde ich auch wichtig zu sehen, was meine reale Position in diesem Zusammenhang sein kann. Ich bin eine schwarze Frau, die in Deutschland sozialisiert worden ist, ich habe eine deutsche Staatsbürger*innenschaft und meine Lebensrealität und auch die Nachwirkungen der Kolonialzeit, die ich erfahre, sind in Teilen andere als diejenigen, die vor Ort sind in Regionen, die tatsächlich betroffen waren von der deutschen Kolonialzeit. Das heißt, die Auswirkungen, mit denen ich mich hier beschäftige – zum Beispiel eine Anwesenheit von rassistischen Fremdbezeichnungen; in einer weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft zu leben, in der bestimmte rassistische Strukturen vorherrschend sind – sind einfach andere, als beispielsweise in Namibia. Und die Auseinandersetzung mit diesen unterschiedlichen Nachwirkungen fällt entsprechend unterschiedlich aus. Das heißt, ich sehe meinen Job quasi darin, diejenigen zu unterstützen, die in Teilen völlig andere Nachwirkungen erfahren müssen, als es für mich der Fall ist. Wenn es die Forderung nach Reparationszahlungen gibt – und ich weiß, dass es sie gibt – dann sehe ich meine Arbeit auch darin, diese Forderung zu unterstützen.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es ein zentrales sein muss. Ich finde es ist schon wichtig, diese unterschiedlichen Zeitpunkte als solche kenntlich zu machen. Also einfach weil Versklavung ja zeitlich durchaus auch vor dem offiziellen Eintreten des deutschen Kolonialismus stattgefunden hat. Zum Beispiel mit Blick auf die NS-Zeit gibt es ja durchaus Stelen, die ähnlich gestaltet sind und ich fänds schön, wenn es ein ähnliches Konzept geben würde, dass sich [einem bestimmten] Zeitpunkt annimmt und sich damit kritisch beschäftigt. Weil eine Beschäftigung mit diesen Themen findet zwar vermehrt statt – also gerade auch mit Blick auf Kolonialismus: Ich denke da an die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum beispielsweise – und trotzdem ist diese Auseinandersetzung in der Regel eben nicht besonders kritisch. Sie greift vielmals zurück auf Stereotypisierungen, sie greift vielmals zurück auf Romantisierungen, der Vorstellung davon, dass die Kolonialzeit ja eben nicht nur eine in Anführungszeichen „schlechte Zeit war“, sondern auch den ehemals Kolonisierten Vorteile gebracht hätte. Das finde ich übrigens spannend, weil zumindest die Diskurse darum insofern vergleichbar sind mit der NS Zeit, als dass es ja durchaus auch Menschen gibt, die behaupten, Hitler hätte nicht alles schlecht gemacht, er hätte auch Autobahnen gebaut. Das geht in eine ähnliche Richtung. Ich fänd wichtig, dass es Erinnerungskonzepte gibt, die sich dem Thema Versklavung und auch vor allem der deutschen und ehemals preußischen Beteiligung annehmen und ein Konzept mitdenken, in dem Kolonialismus thematisiert werden kann. Bezeichnend finde ich, dass diese mangelnde kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Kolonialismus sich natürlich auch wiederspiegeln muss und niederschlagen muss in der schulischen Ausbildung. Und da denke ich immer wieder an ein Beispiel: Das ist aus dem aktuellen Geschichtsschulbuch für die Mittelstufe, also ungefähr 9.,10. Klasse und da wird tatsächlich die Frage gestellt: Welche Vor- und Nachteile hatte die Kolonialzeit auf die ehemals Kolonisierten? Und das spannende an dieser Frage ist ja, dass sie impliziert, dass es Vorteile gegeben hat für diejenigen, die besetzt und ausgebeutet worden sind. Und ich finde das zeigt eben sehr deutlich, wie wenig kritisch die Auseinandersetzung bisher ist und wie stark koloniale Legitimationsmuster sich bis in die Gegenwart in Bildung widerspiegeln und niederschlagen. Und in diesem Zusammenhang finde ich ganz wichtig, dass eine Auseinandersetzung mit diesen Themen einerseits Geschichte in Frage stellt, also wie Geschichte gemacht wird, dass sie eben nicht neutral oder objektiv ist, sondern wir da sehr [unterschiedliche] Perspektiven haben und in der Regel eben nicht die Perspektiven von Schwarzen Personen und People of Color und [insbesondere] denjenigen, bei denen die Gewaltausübung real vor Ort angekommen ist. Welche Möglichkeiten haben wir [andererseits], alternative Wissensbestände, nämlich genau die, die ich gerade angesprochen habe, auch stärker mit in die schulische Bildung einfließen zu lassen und zwar nicht einfach nur stellvertretend, um den eigenen Punkt zu stützen – weil das passiert real -, sondern wirklich für sich sprechen zu lassen und eben auch gegenwärtige Erzählungen zum Thema Kolonialismus, die sehr stark romantisiert sind, aufzubrechen.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Ich halte die nicht nur für wichtig, ich halte die sogar für unabdingbar. Wenn wir uns mit dem Thema Kolonialismus beschäftigen, müssen wir uns damit beschäftigen, welche realen Auswirkungen, sowohl mit Blick auf die Vergangenheit als auch mit Blick auf die Gegenwart und letztlich dann auch mit Blick auf die Zukunft, die deutsche Beteiligung am Kolonialismus, zum Beispiel in Namibia, aber natürlich auch in Tansania oder Togo oder auch Kamerun hat und inwiefern wir damit umgehen. Um uns mit diesen Auswirkungen zu beschäftigen, brauchen wir diejenigen, die diese Auswirkungen tagtäglich am eigenen Leib erfahren, deren Lebensrealität geprägt ist auch von den ja Nachwirkungen und Kontinuitäten der deutschen Beteiligung am Kolonialismus.


Joshua Kwesi Aikins


Joshua Kwesi Aikins, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Entwicklungspolitik und postkoloniale Studien der Universität Kassel. Er studierte Politikwissenschaft an der FU Berlin und der University of Ghana.

Joshua Kwesi Aikins, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Entwicklungspolitik und postkoloniale Studien der Universität Kassel. Er studierte Politikwissenschaft an der FU Berlin und der University of Ghana. 

Seine Forschungsschwerpunkte sind das Zusammenwirken westlicher und indigener politischer Systeme in Ghana, Entwicklungspolitik aus dekolonialer Perspektive, kulturelle und politische Repräsentation der afrikanischen Diaspora, Kolonialität und Erinnerungspolitik in Deutschland sowie kritische Weißseinsforschung.

Er verbindet sowohl im deutschen als auch im ghanaischen Kontext wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Beschäftigung mit Fragen von Empowerment und Teilhabe, in Ghana unter Anderem als Associate Researcher der Ghana Constitution Review Commission (2010-2011) sowie als scientific lead des Ghana Vote Compass, der ersten ghanaischen Voter Advice Application für die Wahlen im Dezember 2012.In Deutschland koordinierte er von 2013 bis 2015 die Erstellung eines zivilgesellschaftlichen Parallelberichtes zu Rassismus in Deutschland an den UN-Antirassismusausschuss. Für das Projekt Vielfalt Entscheidet des Vereins Citizens for Europe verfasste er gemeinsam mit dem Projektleiter Daniel Gyamerah die Expertise „Handlungsoptionen zur Diversifizierung des Berliner Kultursektors“. Er arbeitet darüber hinaus als Trainer und Vortragender im Bereich der politischen Bildung mit einem Fokus auf die umkämpfte De/Kolonialität des öffentlichen Raums, menschenrechtsbasierter Antirassismusarbeit und Empowerment.

"Da sieht man also, dass sich das [Humboldt Forum] einordnet in eine lange und problematische Geschichte der Verstrickungen mit deutschem Kolonialismus, mit deutscher kolonialer Gewalt."

 - Joshua Kwesi Aikins

"Da sieht man also, dass sich das [Humboldt Forum] einordnet in eine lange und problematische Geschichte der Verstrickungen mit deutschem Kolonialismus, mit deutscher kolonialer Gewalt."

 - Joshua Kwesi Aikins


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Vermessen. Ich denke, dass das Projekt auf ganz vielen verschiedenen Ebenen vermessen ist. Dass sich da angemaßt wird wirklich so restaurativ tätig zu werden. Ja, also sozusagen ein Feudalsymbol wiederaufzubauen. Und ich find es auch ein bisschen revanchistisch, selbst wenn man jetzt sozusagen in Anführungszeichen „nur“ die DDR Geschichte und den Palast der Republik mit einbezieht. Aber leider, und deswegen ist es wirklich vermessen, bekommt das Ganze noch eine historische noch viel tiefere und noch problematischere Dimension, wenn man wahrnimmt, dass das Humboldt Forum leider eben auch ein koloniales Projekt ist. Und zwar sowohl wegen der Art, wie da mit den Objekten umgegangen wird oder genauer, wie es da vermieden wird, vernünftig in Richtung Provenienzforschung, Rückgabe usw. die koloniale Geschichte dieser Sammlungen verantwortungsvoll zu bearbeiten.  

Und dann kommt auch noch dazu – und deswegen ist es auch auf der Ebene nochmal vermessen – dass das Ganze tatsächlich in eine Hohenzollern-Residenz wieder einzieht. 

Also dass die ethnographischen Sammlungen Berlins, wo wir wissen, dass ein nicht geringer Anteil davon zur Kolonialzeit, auch zur deutschen Kolonialzeit, auch aus deutschen Kolonien hierher verbracht wurden, dass die jetzt also in so ein wiederaufgebautes Schloss einziehen sollen, das den Hohenzollern gehörte. Also einem deutschen Adelsgeschlecht, was in verschiedenen Jahrhunderten immer wieder verstrickt war – verantwortlich-  verstrickt war in deutsche Kolonialaggressionen. Also von der Zeit des sogenannten „Großen Kurfürsten“, der ja den Bau des ersten brandenburgischen Versklavungsforts befohlen hat, über dann die deutsche Kolonialzeit, in der es ja der Reichskanzler von Bülow [war] (auch wenn er kein Hohenzoller war), der die Einrichtung von Konzentrationslagern in Deutsch Süd-Ost-Afrika befohlen hat, bis hin zu der Tatsache, dass es eben in diesem Schloss auch ein sog. „Kuriositätenkabinett“ gab, in dem also dann auch zu einer bestimmten Zeit mit herabwürdigendem eurozentrischen kolonialen Blick angebliche „andere“ Kulturen ausgestellt wurden. Da sieht man also, dass sich das einordnet in eine lange und problematische Geschichte der Verstrickungen mit deutschem Kolonialismus, mit deutscher kolonialer Gewalt, die dann eben leider auch über dieses ganze Projekt und über den ungebrochenen kolonialen Blick – der sich alleine schon in diesem Vorhaben ausdrückt, weil er eben nicht bewusst kritisch reflektiert und in irgendeiner Form gebrochen wird- [fortgesetzt wird]. Und aus all diesen Gründen halte ich das wirklich für ziemlich vermessen. Es ist auch so, wenn man sich einfach mal die Dimensionen anschaut: Es ist eines der größten, also teuersten Kulturprojekte in ganz Europa. Mit auf jeden Fall dreistelligen Millionenbeträgen. Und die Menschen, die das verantworten, sagen aber gleichzeitig, dass sie es bedauern, dass es nicht genug Geld für die Provenienzforschung gäbe. Dann sieht man also daran ganz klar, dass da leider Prioritäten falsch gesetzt werden. Und auch an der Stelle muss man dann eben sagen, ist es tatsächlich vermessen. Der Kontrast zwischen dem angeblich humanistischen universalen Gestus „Wir laden die Welt nach Berlin ein“ zum einen und dann dieser Umsetzung, ist eben aus all den genannten Gründen ziemlich vermessen.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ich denke, dass Deutschland auf jeden Fall Reparationen an die vom Genozid betroffenen und von ihren Ländern vertriebenen Herero und Nama oder deren Nachfahren zahlen sollte. Ich denke, dass Deutschland sich dieser Verantwortung stellen muss. Und das beginnt schon mit der Frage, wie man überhaupt über diese Dinge spricht. Es gibt ja im Moment da Bemühungen, dass die deutsche Regierung mit der namibische Regierung über diese Sachen spricht. Und die Kritik von Herero- und Namaverbänden ist aber, dass sie daran nicht beteiligt sind. Es sind zwar Herero und wohl auch Nama in dieser … auf namibischer Seite. Das sind aber von der Regierung bestellte Vertreter und nicht die, die sozusagen die Opferverbände – die genau zu diesem Thema lange aktiv sind – eigentlich dorthin gerne entsenden würden. Und darin zeigt sich dann leider schon die erste Verfehlung auf dem Weg zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dieser Geschichte. Und ich denke, dass man auch wahrnehmen muss, dass es da ganz klare materielle Folgen gibt bis heute. Dass also ein völlig disproportionaler Anteil des landwirtschaftlich fruchtbaren Landes nach wie vor in der Hand von weißen deutschstämmigen Menschen ist, während Herero und Nama nach wie vor politisch aber auch ökonomisch marginalisiert sind. Das heißt also, in dem wirtschaftlichen Alltag des Landes sind die Folgen des Genozids überall deutlich sichtbar. Und daraus ergibt sich aus meiner Sicht eine klare Verantwortung. Nicht zuletzt deswegen, weil die Enteignung von Herero und Nama nicht nur irgendwie informell eine Folge des Genozids war, sondern per Gesetz und von Deutschland aus sozusagen dekretiert wurde. Und vor dem Hintergrund denke ich, muss sich Deutschland, muss sich die deutsche Bundesregierung, dieser Verantwortung stellen. Und dazu gehört aus meiner Sicht auch [ganz] unbedingt, dass man endlich damit aufhört diese Diskussion mit Verweisen auf sogenannte “Entwicklungszusammenarbeit” zu verknüpfen. Das halte ich wirklich für extrem fragwürdig und verfehlt. Weil wir [dann nicht] wirklich über Reparationen sprechen, wobei mir wichtig ist zu sagen, dass Reparationen ja viele Dimensionen haben. 

Also für mich wäre Z.B. auch die Errichtung eines Denkmals für die Opfer des deutschen Kolonialismus hier in Berlin Teil von solchen Reparationen. Es geht also nicht nur um Geld es geht auch um symbolische Reparationen. Reparationen durch eine andere Bildung, durch eine andere politische Bildung und so weiter und so fort, aber es hat natürlich auch diese materielle Komponente. Und mein Problem ist nun, dass das in Deutschland gerne verknüpft wird mit der sogenannten Entwicklungszusammenarbeit. Und es ist deswegen ein Problem, weil diese Entwicklungszusammenarbeit ja bekanntlich an Konditionen geknüpft ist und im Übrigen auch an die namibische Regierung ausgezahlt wird und nicht etwa direkt an z.B. Opferverbände. Aber das Problem darüber hinaus sind die Konditionen: also Entwicklungszusammenarbeit funktioniert so, dass man sagt, „Ja, also ihr bekommt dieses oder jenes Geld, dann müsst ihr aber auch ganz genau das und das und das damit machen und diese oder jene unserer Expert*innen müssen angeheuert werden, um euch dabei zu helfen“ und so weiter und so fort. Es ist, denke ich, jedem ersichtlich, dass wenn man sozusagen eine Verletzung, eine Verfehlung oder gar einen Genozid in dem Fall anerkennt, dass dann die Person, die das anerkennt und dafür Reparationen, also Entschädigungen zahlen will, dann nicht bestimmen kann – oder die Partei oder [das] Land in dem Fall dann nicht bestimmen kann – was denn nun damit zu geschehen habe. Und das ist genau der Grund warum ich denke, dass es auf die falsche Fährte führt diese beiden Sachen miteinander zu verknüpfen. Und ich würde von der Bundesregierung ganz klar erwarten, dass sie ihre Verantwortung auch in der Reflektion über diese Sachen dahingehend wahrnimmt, dass sie tatsächlich diese Sachen auseinander hält und dann eben wie gesagt mit den Opferverbänden direkt in einen Dialog über Reparationen eintritt.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ich denke es wäre gut und wichtig, dass in Berlin ein solches Informationszentrum nebst Mahnmal errichtet und eröffnet wird, weil ich glaube, dass Berlin eine Schaltzentrale nicht nur des deutschen, sondern auch des europäischen und letztlich des westlichen Kolonialismus war. Dass also lange vor dem Eintritt – dem formellen Eintritt des deutschen Reiches in den Kolonialismus – von hier aus [also] schon zur Zeit des Versklavungshandels bestimmte Impulse ausgegangen sind. Und dass, also Dinge wie die Afrika Konferenz (die Berliner Konferenz) [hier stattfanden], auf der der Kontinent Afrika unter Kolonialmächten aufgeteilt wurde, in Abwesenheit jeglicher Vertreter*innen aus Afrika. Dass es genau aus diesem Grund wichtig ist, dass hier an dem Ort, von dem aus so viel koloniale Gewalt ausgegangen ist, dafür auch ein Stück weit Verantwortung übernommen wird und dieser Geschichte und gerade auch ihren Fortwirkungen bis heute dann auf diese Weise gedacht wird. 

Ich denke dass es in der deutschen Debatte um Erinnerungspolitik auch ein Leerstelle gibt, dass nämlich zu wenig wahrgenommen wird, dass diese Erinnerung oder diese Perspektive der Kolonisierten auch ein Teil deutscher Geschichte ist, ein Teil europäischer Geschichte. Also nicht irgendwas das woanders stattfindet hat, sondern es gibt mehr und mehr Menschen hier, die diasporische Bezüge, die familiäre Bezüge zu dieser Geschichte haben. Und zwar nicht nur aus Perspektive derjenigen, die die Gewalt ausgeübt haben, die profitiert haben, sondern auch aus der Perspektive derjenigen, die vertrieben, entrechtet, herabgewürdigt, die ermordet wurden. Und ich denke, dass es wichtig ist das aufzunehmen. Ich denke, dass es in Berlin auch noch einen anderen historischen Bezug gibt, eine Schicht von Geschichte, die in Deutschland viel zu wenig mit der Kolonialgeschichte verbunden wird und das ist die Geschichte der sog. „Befreiung“. Denn was viel zu wenig behandelt wird, in der Erinnerung an die Befreiung vom NS Regime, ist die Tatsache, dass die Westalliierten Kolonialmächte waren und auch sozusagen den Sieg über die Achse durch koloniale Ausbeutung mit sichergestellt haben. Und dass diese Rede von der Befreiung Deutschlands und von der Befreiung hin zur Demokratie zynisch ist, solange man nicht mit einbezieht, dass die USA ein Apartheidsstaat waren, dass England und Frankreich Kolonialmächte waren, die massive Menschenrechtsverletzungen begangen haben, die massive Ausbeutung mit millionenfacher Todesfolge begangen haben, direkt, um Ressourcen zu mobilisieren, um diesen Krieg zu gewinnen. Und auch darin [sehe ich] gerade hier in Berlin, eben auch in der Hauptstadt des NS Regimes, denke ich, nochmal eine besondere Wichtigkeit für so ein Mahnmal, welches eben die verschiedenen Zeitebenen dann auch verknüpft.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Ich denke, dass diese Gebeine Zeugnis darüber ablegen, mit was für einer Brutalität und was für einer rassistischen Selbstüberschätzung vorgegangen wurde. Denn eine der wichtigen Motivationen für die Sammlung dieser Gebeine war es ja, dass sie dann in rassistischen Forschungen – in denen es dann darum ging die „Überlegenheit” der „weißen Rasse“ quasi „objektiv“ zu beweisen- [verwendet wurden]. Ich denke, dass es aber auch wichtig ist wahrzunehmen, was die Menschen aus den Herkunftskontexten dieser Gebeine sagen. Herero und Nama z. B. wo ja viele Schädel auch im Kontext von den ersten offiziell so bezeichneten deutschen Konzentrationslagern entwendet und hierher gebracht wurden. Die sagen: „Das sind unsere Ahnen und was hier in Berlin mit ihnen passiert ist nicht würdevoll, nicht angemessen.“ Sie müssen also zurückgeführt und in Würde bestattet werden. Die sagen aber auch, dass das Zeugen sind, in dem Fall Zeugen eines Genozids. Und sie erwarten die Rückgabe der Schädel, erwarten aber auch dass diese hier forensisch untersucht werden, um sozusagen mehr über die letzten Monate vor dem Tod und vielleicht auch Todesumstände erfahren zu können. Und das verweist, denke ich, auf eine Verantwortung, die dann auch wieder Deutschland und Berlin oder die verschiedenen Institutionen, die also diese Schädel gerade „besitzen“ (ist vielleicht das falsche Wort, aber ja, in deren Kellern sie lagern) wahrnehmen müssen. Das ist z.B. weil wir ja auch über das Humboldt Forum gesprochen haben, für die Herero und Nama Schädel, bekannter Weise die Stiftung preußischer Kulturbesitz, die ja auch für das Humboldt Forum verantwortlich ist. Und ich denke in einem verantwortungsvollen Umgang mit diesen Schädeln – also das heißt ganz konkret in einer forensischen Analyse und einer würdevollen Rückgabe – würde sich zeigen, wie ernst die weltoffenen Marketingslogans tatsächlich gemeint sind, die sich gerade mit diesem Projekt verbinden. Aber die Schädel sind ja nicht nur im Besitz der Stiftung preußischer Kulturbesitz, sondern man kann ja fast sagen, fast jedes Universitätskrankenhaus, was alt genug ist, was es also sozusagen zur Kolonialzeit schon gegeben hat, hat ja solche Schädel noch in den Kellern zu lagern. Und das heißt also es eine Verantwortung, die weit über Berlin hinausgeht und wo wirklich viele Institutionen sich dieser Geschichte verantwortungsvoll stellen sollten.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Ich denke, dass es wirklich wenig Sinn macht, nur aus einer Perspektive auf diese Geschichte zu blicken. Also auf die geteilte, gemeinsame Gewaltgeschichte des Kolonialismus. Ich denke, dass die Tatsache, dass tatsächlich in den letzten Jahrzehnten, das meistens aus einer europäischen und eurozentrischen Perspektive erzählt wurde, deutlich gemacht hat, in was für eine Sackgasse man sich damit manövriert, weil es eben so nicht möglich ist, die Geschichte und eben auch die sich daraus ergebende Gegenwart zu verstehen mit den vielfältigen Fortwirkungen von Kolonialismus und Rassismus bis heute. Also Rassismus hat ja nicht nur Fort- sondern auch weitere Auswirkungen. 

Die Tatsache, dass Rassismus sozusagen immer noch so ein wichtiges Ordnungsprinzip westlicher Gesellschaften ist und global immer noch so wirkmächtig ist, kann man ja gar nicht verstehen, ohne Kolonialgeschichte mit einzubeziehen. Und die wiederum kann man nicht verstehen, wenn man sie immer nur aus einer Perspektive betrachtet. Also ich denke, dass diese Multiperspektivität ganz zentral ist, um eben diese Verflochtenheit der geteilten Gewaltgeschichte des Kolonialismus verstehen zu können. 

Und ich denke, dass es in der Verantwortung derjenigen liegt, die jetzt im Moment die meisten Ressourcen – nicht zuletzt auch aufgrund dieser Geschichte-  haben, dort in wirklich ergebnisoffenen, respektvollen Partnerschaften – wobei das Wort jetzt natürlich auch belastet ist, aber ja – im Versuch, in einem echten Austausch, dort zu neuen Erkenntnissen zu gelangen und dazu gehört aus meiner Sicht vor allem, dass man die Erfahrung der Kolonialisierten konzeptionell ernst nimmt. 

Und das bedeutet, dass man ein bisschen darüber hinausgeht nur zu beforschen, was ist von hier ausgegangen, also was war sozusagen das Projekt des Kolonialismus von hieraus gedacht, sondern man müsste denke ich viel stärker mit einbeziehen  – salopp gesagt-  was kam dort an. Also was für vielfältige Auswirkungen hatte koloniale Gewalt, die ja nicht nur Menschen vertrieben und ermordet hat, sondern die ganze Gesellschaften, Lebensentwürfe, ökonomische Modelle, Arten und Weisen auf der Welt zu sein, zu denken, Wissensbestände, Epistemologien, beschädigt oder sogar teilweise vernichtet hat. Ich denke, dass es wichtig ist, eben auch auf diese Seite der geteilten Geschichte zu schauen um tatsächlich einen besseren Einblick darin zu bekommen, was für einen Umfang diese Gewalt hatte und bis heute hat. Ich denke, dass gerade für Europa, das im Moment auch deswegen so wichtig ist, weil aus meiner Sicht Europa – nicht erst seit Brexit und EU-Krise – in eine Krise des Denkens geraten ist. Es gibt Herausforderungen heute, globale Herausforderungen, die sich aus problematischen Seiten des europäischen, des westlichen Systems ergeben. Also man denke z.B.  an wachsende Ungleichheit, man denke an intergenerationelle Ungerechtigkeit, insbesondere in Bezug auf die Klimakatastrophe. Das sind alles Probleme, die sozusagen, die westliche Art zu leben und zu wirtschaften und Politik zu organisieren hervorgebracht hat. Auf die der Westen aber keine Antworten findet. Und ich denke, dass es gerade da wichtig wäre, sich anderer Wissensbestände zu vergewissern, um Impulse zu bekommen, wie man nun gemeinsam diese globalen Probleme lösen kann. 

Das Tragische ist aber, dass, denke ich, nach wie vor – als eine Art kolonialer Over hang – Europa (oder viele Menschen und gerade auch Entscheider*innen in Europa) immer noch der Idee nachhängt, dass es angeblich am weitesten entwickelt wäre und sozusagen die Zukunft des Restes der Welt, insbesondere des Globalen Südens darstellen würde. Also wenn man der problematischen Idee nachhängt, dass Europa angeblich „weiter“ entwickelt wäre als der Globale Süden – was ja sozusagen eine koloniale Phantasie ist- dann ergibt sich daraus die Tragik, [dass] wenn man das so denkt, in so einem linearen Fortschrittsdenken [bleibt], das nur eine Richtung kennt. Dann heißt es „Wir – also Europa – sind sozusagen vorne dran und das bedeutet aber auch, dass man sich schwer vorstellen kann, wie man von anderen lernen sollte, die ja angeblich hinten dran sind und ja auch eigentlich ständig von einem lernen müssen. 

Man ist also durch diese koloniale Selbstüberschätzung gefangen auf eine Art und Weise, die es schwieriger macht die drängenden sozialen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme zu lösen oder zumindest neue Impulse für deren Lösung zu bekommen. Und da wird, denke ich, deutlich wie tragisch diese nach wie vor unreflektierte koloniale Selbstverständlichkeit und auch Selbstüberschätzung auch für Europa ist. Und deswegen denke ich, dass eine Erinnerungspolitik, eine Erinnerungspraxis der vielen Perspektiven, der Vielstimmigkeit auch helfen kann, dieses Problem kritisch anzugehen

Man sieht ja gerade in Berlin, wo es sozusagen Kämpfe gibt um Erinnerung im öffentlichen Raum, wo es nicht weit von hier eine Straßenumbenennung gegeben hat, vom Gröbenufer ins May-Ayim-Ufer. Wo Menschen mit anderen Erinnerungsperspektiven sich einmischen, und sagen „wir wollen mitsprechen darüber“, da sieht man ja schon ein klein wenig von dem Potenzial, was so eine Idee des Erinnerns aus mehreren Perspektiven mit sich bringt. Und wenn man das jetzt sozusagen noch weiterdenkt in Bezug auf die vielen, vielen anderen Erinnerungsgemeinschaften die gerade auch hier in Berlin leben, und auch ihre Erinnerung praktizieren, ohne dass andere darauf Zugriff haben, dann denke ich, wird schnell deutlich was für ein – für diese Gesellschaft wichtiges – Potenzial darin steckt. Da [gilt es] genauer hinzuhören, genauer hinzuschauen und diese Multiperspektivität ernst zunehmen in Bezug auf die Veränderung der Erinnerung des Kolonialismus in Berlin und Deutschland. 


Karen Taylor


Karen Taylor setzt sich für einen machtkritischen rassismussensiblen Feminismus und eine postkoloniale Erinnerungskultur im Berliner Stadtbild ein.

Karen Taylor setzt sich für einen machtkritischen rassismussensiblen Feminismus und eine postkoloniale Erinnerungskultur im Berliner Stadtbild ein.

Sie ist Mitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland ISD, im Bündnis “Völkermord verjährt nicht!” und ist stellvertretende Landesvorsitzende der AG Migration & Vielfalt in der SPD Berlin. Unter anderem hat sie die Reihe Frauen. Macht. Vielfalt! organisiert, referiert und moderiert verschiedene Veranstaltungen zu Themen wie Rassismus in Verbindung mit Justiz und Feminismus und ist Autorin bei der linkspolitischen Zeitung vorwärts.

"Ich würde mir nur wünschen, dass die Betroffenen, dass die Community, die Diaspora hier in Deutschland auch die Chance hat, in einem Mahnmal, in einer Gedenktafel selber zum Ausdruck zu bringen, wie sie die Zeit heute sieht, und was heute noch bei der Bevölkerung ankommen muss."

 - KAREN TAYLOR

"Ich würde mir nur wünschen, dass die Betroffenen, dass die Community, die Diaspora hier in Deutschland auch die Chance hat, in einem Mahnmal, in einer Gedenktafel selber zum Ausdruck zu bringen, wie sie die Zeit heute sieht, und was heute noch bei der Bevölkerung ankommen muss."

 - KAREN TAYLOR


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Eigentlich fallen mir mehrere Wörter ein. Neokolonialismus, weiße Ignoranz, weiße Arroganz. Warum? Weil ich das Gefühl habe, dass die Community, dass sich NGOs, dass sich aber auch staatliche Institutionen geäußert haben zum Humboldt Forum, ihre Kritik geäußert haben und die so gar nicht gehört wird und wenn nur alibimäßig als reine Protestbewegung abgetan wird. Dabei haben sich schon etliche auch Wissenschaftler fundiert dazu geäußert, warum das Konzept des Humboldt Forums so wie es jetzt noch konzipiert wird und auch realisiert werden soll, nicht geht. Daher diese Begriffe.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ich glaube es sind zwei Aspekte, die da ganz wichtig sind. Zum einen eine ernst gemeinte Entschuldigung und zum anderen die Reparation, die mit einer ernst gemeinten Entschuldigung verbunden ist. Weil es für mich neben den Reparationen auch eine Frage des Respekts ist. Die Herero und Nama haben ihre Forderungen vorgetragen. Was wird wie gehört? Und was wird wie akzeptiert? Die Bundesregierung hat ja jetzt in den Verhandlungen, die Herr Polenz für Deutschland führt, den Aspekt der Entschuldigung ausgegriffen und den Aspekt der kulturellen Erinnerungsprojekte, hat aber direkt von vorn herein die Reparationen ausgeschlossen. Das geht meiner Meinung nach nicht, allein weil die einzelnen betroffenen Gruppen diese Forderung schon vorgebracht haben. Wie die Reparationen ausgestaltet werden, das ist dann ein zweiter Schritt, über den man sprechen kann und auch muss. Das aber von vorn herein auszuschließen, aus offenen Verhandlungen, wie sie genannt wurden, ist meiner Meinung nach falsch.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Morgen in Berlin – morgen ist der 25. Februar – findet der Gedenkmarsch für die Opfer des Kolonialismus in Berlin statt. Wenn ich so in meinem Freundeskreis, in meinem Dunstkreis, bei mir auf der Arbeit rumfrage, ob Personen schon mal von diesem Gedenkmarsch, geschweige denn vom Kolonialismus in Deutschland gehört haben, die Geschichte kennen, sehe ich in ganz viele fragende Gesichter und allein deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, dass auch im Stadtbild der Opfer der Versklavung gedacht wird, zumal wir solche Zeichen auch auf anderer Seite haben. Also, wir haben das afrikanische Viertel im Wedding, wir haben die M-Straße in Mitte. Also es ist nicht so, dass es nicht Teil des Stadtbilds oder der Stadtgeschichte wäre. Ich würde mir nur wünschen, dass die Betroffenen, dass die Community, die Diaspora hier in Deutschland auch die Chance hat, in einem Mahnmal, in einer Gedenktafel selber zum Ausdruck zu bringen, wie sie die Zeit heute sieht, und was heute noch bei der Bevölkerung ankommen muss.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Eine ganz ganz schwierige Geschichte, mit der ich mich auch beruflich beschäftigt habe. Es ist zum einen, dass wir über Gebeine sprechen, was ja human remains sind. Das sind keine Objekte, sondern … ja, Überreste von Familienangehörigen, die einen claim auf diese Gebeine haben oder zumindest die Staaten haben claims auf diese Gebeine. Und jetzt in der Vorbereitung auch auf dieses Gespräch, bin ich über komische Interviews gestolpert, die das Ganze so sehr objektiviert haben, die von Forschungsobjekten ausgegangen sind, die das Humane aus diesen Überresten genommen haben. Und dementsprechend bin ich der Meinung, dass es eigentlich Verträge dazu geben muss, die die Rückführung oder die Restitution dieser Gebeine veranlassen. Es gab ja schon erste Bestrebungen, ich kann nicht genau sagen woran es hakt. Denn eigentlich sind die Forderungen klar, es ist auch klar wo sie sind. Es müsste nur zusammenkommen… die beiden Seiten.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Das ist besonders wichtig, weil wir ja auch viel über Selbstbezeichnungen sprechen, über Aneignung, über Selbstermächtigung und in diesen Kontexten die Berichterstattung der Geschichte war – plakativ vielleicht auch – aber ganz kurz formuliert: Der Westen gegen den Globalen Süden. Wenn wir auch in ethnologischen Museen unterwegs sind, ist klar, der Westen erzählt über den Rest der Welt. Und diese Perspektive bleibt insofern eurozentristisch, als dass sie all die anderen Gesichtspunkte ausklammert. Und für eine umfassende Berichterstattung, die ja möglich ist, wäre es wichtig alle Perspektiven mit einzubeziehen. Das ist es zum Einen. Zum Anderen werden wir ja auch immer wieder damit konfrontiert. Wir werden mit Bezeichnungen konfrontiert. Sei es jetzt die Beleidigung „N*“ oder die Beleidigung „M*“ und dort wäre es besonders wichtig, dass gehört wird, weshalb wir diese Worte nicht als Bezeichnungen annehmen können, weshalb sie beleidigend sind. Und ich denke, die Diskussionen und Auseinandersetzungen, die ja teilweise über solche Begriffe geführt werden, würden weniger emotionsbeladen geführt werden, wenn es nicht mehr um die reine political correctness ginge, sondern auch die Mehrheitsgesellschaft erkennt, weshalb wir gewisse Begriffe, weshalb wir gewisse Bezeichnungen schmerzlich finden. Und deswegen sollte es ein gemeinsamer Prozess sein, in dem beide Seiten ein Stück weit voneinander lernen können, sich annähern können, dass es aber nicht am Ende so aussieht, dass eine Seite der anderen was aufoktroyieren will, sondern dass beide Seite einfach zusammenkommen in solchen Prozessen. Also es sollte nicht nur… Die Community sollte jetzt nicht nur Schulbücher zum Beispiel vorgeben, sondern das sollte im gemeinsamen Miteinander entstehen. 


Lucia Murìel


Lucia Murìel, geboren in Ecuador, ist Diplompsychologin, Geschäftsführerin und Fachpromotorin bei moveGLOBAL e. V. mit dem Schwerpunkt  Stärkung der migrantisch diasporischen Gesellschaft. Zudem ist sie Vorsitzende des MEPa e. V. und Mitglied des Kuratoriums von Engagement Global (Engagement Global gGmbH – Service für Entwicklungsinitiativen ist die Ansprechpartnerin in Deutschland für entwicklungspolitisches Engagement, deutschlandweit und international).

Lucia Murìel, geboren in Ecuador, ist Diplompsychologin, Geschäftsführerin und Fachpromotorin bei moveGLOBAL e. V. mit dem Schwerpunkt  Stärkung der migrantisch diasporischen Gesellschaft. Zudem ist sie Vorsitzende des MEPa e. V. und Mitglied des Kuratoriums von Engagement Global (Engagement Global gGmbH – Service für Entwicklungsinitiativen ist die Ansprechpartnerin in Deutschland für entwicklungspolitisches Engagement, deutschlandweit und international).

moveGLOBAL e.V. ist ein Verband migrantisch diasporischer Organisationen in der Einen Welt mit dem Ziel diese effektiv zu vernetzen und zu qualifizieren. moveGLOBAL trägt dazu bei, dass Förderungen die migrantischdiasporischen Organisationen als entwicklungspolitische Akteure in der Gesellschaft etablieren. Dabei will moveGLOBAL dass entwicklungspolitische Räume von antikolonialen, antirassistischen, emanzipatorischen Dialog geprägt werden.

„Das Ausmaß der Schäden, die man dort hinterlassen hat, auf der menschlichen, sozialen, politischen, ökologischen Ebene, sind meiner Meinung nach noch lange nicht erfasst! [...] Wir wissen allerdings heutzutage mehr darüber, dass Völker, die einmal so ein Trauma durchgemacht haben, solche Verbrechen erlebt haben, auf dem eigenen Boden, von fremden Eroberern, dass diese Traumata über Generationen lang wirken.”

 - LUCIA MURÌEL

„Das Ausmaß der Schäden, die man dort hinterlassen hat, auf der menschlichen, sozialen, politischen, ökologischen Ebene, sind meiner Meinung nach noch lange nicht erfasst! [...] Wir wissen allerdings heutzutage mehr darüber, dass Völker, die einmal so ein Trauma durchgemacht haben, solche Verbrechen erlebt haben, auf dem eigenen Boden, von fremden Eroberern, dass diese Traumata über Generationen lang wirken.”

 - LUCIA MURÌEL


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Ja, das Erste woran ich denke sind die vielen geraubten Schätze, die darin sozusagen aufbewahrt werden. Aber schließlich dazu dienen, dass besonders das weiße Publikum sich diese Schätze in der Weise aneignet, dass sie selbstverständlich wieder und wieder und wieder davon ausgehen, dass es hierher gehört, dass es zu ihnen gehört, in ihre Museen. Das ist immer das Erste woran ich denke.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Ich bin auf jeden Fall dafür, dass auch da Reparationskosten, Reparationsrückzahlungen gemacht werden müssen! Das Ausmaß von der Schädigung, die man dort hinterlassen hat, auf der menschlichen, sozialen, politischen, ökologischen Seite, sind meiner Meinung nach noch lange nicht erfasst! Wir wissen ja überhaupt nur sehr wenig über den Schaden, den man dort angestellt hat. Und wir wissen aber allerdings auch heutzutage mehr darüber, dass Völker, die einmal so ein Trauma durchgemacht haben, solche Verbrechen erlebt haben auf dem eigenen Boden sozusagen von fremden Eroberern, dass diese Traumata über Generationen lang sozusagen auch wirken. Und auch, dass dort, wo Traumata über lange Zeit wirken, eine normale Entwicklung nicht möglich ist. Vieles wird sozusagen damit einfach lange beschädigt. Diese Kenntnisse haben wir so langsam erst heute, aber wenig über das, was es bei Völkern anrichtet. Und es ist Zeit, dass man sich damit beschäftigt und dass man dann die Reparationsmaßnahmen sozusagen an diesen Schädigungen auch misst. Und selbstverständlich an diesen Verbrechen, kolonialen Verbrechen. Wir sind zwar noch weit weg, aber wir müssen das Maximale fordern! 

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ja, selbstverständlich bin ich davon überzeugt, dass wir das in Berlin haben müssen und auch selber mal planen oder konzipieren müssen! Warum denke ich, dass das so notwendig ist?- Weil der Kolonialismus mit den Folgen noch nicht zu Ende ist. Die Menschen, die aus dem Globalen Süden nach Europa kommen – auch nach Deutschland kommen – stehen bis heute immer noch hier unter Diskriminierungen, unter Benachteiligung, unter Generalverdacht, auch unter so vielen negativen Vorstellungen beziehungsweise  negativen Diskriminierungen und auch Ausgrenzungen, so dass sich dieses koloniale Verhältnis sich leider weiter vererbt hat. Und daran muss einfach erinnert werden, darüber muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dass die Kolonialzeit nicht so im 15. Jahrhundert mal angefangen hat und im 18. Jahrhundert zu Ende gegangen ist, sondern dass wir sozusagen immer noch Folgen, oder Generationen, Kinder sozusagen, von dieser ganzen Geschichte sind. 

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Ja, selbstverständlich bin ich davon überzeugt, dass wir das in Berlin haben müssen und auch selber mal planen oder konzipieren müssen! Warum denke ich, dass das so notwendig ist?- Weil der Kolonialismus mit den Folgen noch nicht zu Ende ist. Die Menschen, die aus dem Globalen Süden nach Europa kommen – auch nach Deutschland kommen – stehen bis heute immer noch hier unter Diskriminierungen, unter Benachteiligung, unter Generalverdacht, auch unter so vielen negativen Vorstellungen beziehungsweise  negativen Diskriminierungen und auch Ausgrenzungen, so dass sich dieses koloniale Verhältnis sich leider weiter vererbt hat. Und daran muss einfach erinnert werden, darüber muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dass die Kolonialzeit nicht so im 15. Jahrhundert mal angefangen hat und im 18. Jahrhundert zu Ende gegangen ist, sondern dass wir sozusagen immer noch Folgen, oder Generationen, Kinder sozusagen, von dieser ganzen Geschichte sind. 

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Also ich hab da auch ein bisschen ein Problem mit dem Begriff „gleichberechtigt“ oder mit dieser Bezeichnung. Also es gibt ja keine Geschichtsschreibung auf Augenhöhe! Und von daher sollten wir eigentlich fordern, dass jetzt eine Geschichtsschreibung von diesen Völkern, von den Nachfahren der Kolonialzeit geschrieben werden muss und geschrieben werden darf und auch veröffentlicht werden muss! Wir kennen bisher nur die weiße männliche Geschichtsschreibung über die Menschheitsgeschichte überhaupt. Das muss verändert werden und das kann nicht auf Augenhöhe sozusagen passieren, sondern wir müssen tatsächlich einfach umgekehrt einmal starten, dass die sozusagen weiße deutsche Geschichtsschreiber einmal für ein Jahrhundert still sind und die anderen ihre Geschichte aufarbeiten und forschen und erzählen, präsentieren und sie auch in unser Bewusstsein bringen dürfen und sie auch in die schulische Erziehung einwirken muss! Und danach, wenn das mal so wäre, dann könnte man sehen: “Okay, was haben die einen erzählt, was haben die anderen erzählt.” Aber bisher haben wir das nicht, ja. 

Also es gibt ja zum Beispiel in Bolivien eine, also sehr viele dekoloniale Forderungen, in Brasilien auch, dann auch aus den asiatischen Ländern, die kolonisiert wurden, Indien und so weiter, dass wir versuchen eine globale Forderung zu stellen. Der Kolonialismus ist auch ein globales Ereignis gewesen, und die Verhältnisse sind heute auch nach wie vor Globaler Norden – Globaler Süden, sodass man versuchen sollte diese ganz lokalen Forderungen ein bisschen zu überwinden, und da wirklich regional übergreifend auch Forderungen zu stellen, was Reparationskosten, was Aufarbeitung der Geschichte betrifft und so weiter. Das ist wirklich für mich noch ein großes Anliegen.


Marianne Ballé Moudoumbou


Marianne Ballé Moudoumbou ist Diplom-Dolmetscherin und firmiert unter dem Namen “Mulongwa-mwa-Bito” / Mu-To Verlag seit 2005 in Potsdam.  Sie engagiert sich in breitem Bündnis für eine offizielle Anerkennung der während der „Maafa“ – Große Zerstörung - verübten Völkermorde und Verbrechen und für entsprechende Entschädigungen.

Marianne Ballé Moudoumbou ist Diplom-Dolmetscherin und firmiert unter dem Namen “Mulongwa-mwa-Bito” / Mu-To Verlag seit 2005 in Potsdam.  Sie engagiert sich in breitem Bündnis für eine offizielle Anerkennung der während der „Maafa“ – Große Zerstörung - verübten Völkermorde und Verbrechen und für entsprechende Entschädigungen.

Sie ist in vielen Organisationen (ehrenamtlich) engagiert: als Mitbegründerin und stellvertretende Vorsitzende des Zentralrat der Afrikanischen Gemeinde in Deutschland, Mitglied in der Vollversammlung der IHK Potsdam, Mitglied im Sprecherrat von VENROB e.V., dem Netzwerk entwicklungspolitischer Gruppen, Initiativen und Vereine im Land Brandenburg, NGO-Vertreterin in der Stiftung Nord-Süd-Brücken, Mitbegründerin des Komitees für ein Afrikanisches Denkmal als auch Sprecherin von Pan-African Women’s Empowerment & Liberation (PAWLO-Germany) e.V.

„Ich mag die Wörter „Kolonie“ und „Kolonialismus“ nicht! „colo“ bedeutet auf Latein „pflegen“- ich sehe nicht, was das mit “Pflege” zu tun hat. Für mich ist das Maafa. Das bedeutet große Zerstörung auf Kiswahili. Und da kommen wir der Wahrheit etwas näher. Also das, wo Genozide stattgefunden haben, Vergewaltigungen, Folter - das kann man nicht mehr als “Kolonialismus” bezeichnen!”

 - MARIANNE BALLÉ MOUDOUMBOU

„Ich mag die Wörter „Kolonie“ und „Kolonialismus“ nicht! „colo“ bedeutet auf Latein „pflegen“- ich sehe nicht, was das mit “Pflege” zu tun hat. Für mich ist das Maafa. Das bedeutet große Zerstörung auf Kiswahili. Und da kommen wir der Wahrheit etwas näher. Also das, wo Genozide stattgefunden haben, Vergewaltigungen, Folter - das kann man nicht mehr als “Kolonialismus” bezeichnen!”

 - MARIANNE BALLÉ MOUDOUMBOU


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Das Neue im alten Format. Und zwar hat das damit zu tun, dass natürlich viele von den Gegenständen, die ausgestellt werden, aus anderen [kolonialen] Sammlungen kommen. Das bedeutet das ist sozusagen eine Art von Recycling, aber nach denselben [alten] Methoden. Das bedeutet, dass viele von diesen Gegenständen noch nicht überprüft wurden in Bezug auf ihre Herkunft, das heißt in Bezug auf den Weg, den sie gemacht haben, um sich in Berlin zu befinden. Und wie Sie, wie wir wissen, gibt es viele Güter, also viele Gegenstände – auch Kunstgegenstände oder sogar Gebeine- die einen sehr tragischen Weg hinter sich haben, um sich jetzt in Berlin zu befinden. Das heißt, diese [Provenienz-] Arbeit wurde noch nicht geleistet.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Es hat mit Erinnerungskultur zu tun. Ich wundere mich, dass [der] Genozid noch nicht anerkannt wurde. Deutschland hat auf andere Nationen und Länder hingewiesen und hat sich fast darüber lustig gemacht, dass es so schwierig ist, einen Genozid anzuerkennen. Aber wie sieht es mit Maafa, mit dieser großen Zerstörung – von der Versklavung bis hin zu der zu der Gegenwart – und mit den Auswirkungen, die die Ovaherero und Nama zu ertragen haben [aus]?! Ich glaube es ist höchste Zeit, dass Reparationen geleistet werden und das soll stattfinden in Einvernehmen, das heißt in Abstimmung mit den Communities von den Ovaherero und Nama, die noch bis zum heutigen Tag darunter zu leiden haben.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ich gehöre zu den Menschen, die ein Komitee zur Errichtung eines afrikanischen Mahnmals initiiert haben. Und wenn wir das schon machen, dann bedeutet das, dass wir es sehr notwendig finden. Und was bei dieser Initiative sehr wichtig ist, ist, dass wir das aus den Perspektiven der in Anführungszeichen „Betroffenen“, das heißt aus den Perspektiven der Menschen, die unmittelbare afrikanische oder historische afrikanische Wurzeln haben, [darstellen wollen]. Damit wir eine Stimme bekommen, und dass wir eine vielfältige Darstellung dieser tragischen Zeit auch geben können.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Ein einziges Wort: Schande! Ich glaube (das) [die Rückgabe] ist eine der Forderungen, [die] aus dem Kongress der Ovahereros und Namas [hervorgegangen ist]. Es darf keine Forschung über uns durchgeführt werden, ohne unsere Zustimmung! Sehen Sie, das ist so wie mit den Namen von Communities und Menschen, die immer noch nicht geändert wurden. Man spricht immer noch von „I-“, obwohl es ein Irrtum von Kolumbus war. Es gibt Sachen, die 500 Jahre später, 300 Jahre später, ein Jahrhundert später sich nicht ändern, warum ist es so? Und es ist höchste Zeit, dass es passiert! Es darf keine Forschung in diesem Sinne gemacht werden und ich gehe noch weiter: Die Menschen, die in der Nazizeit tätig waren, sind ab und zu [auch] die Menschen, die noch für andere, für soziale Angelegenheiten [noch] zuständig waren. Das ist zum Beispiel der Fall für Sintis und Romas. Und das ist eine Schande! Es kann nicht sein, dass die Gebeine von Menschen noch irgendwo in Museen aufbewahrt werden! Ich glaube es ist höchste Zeit, dass es sich ändert!

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Also wo Genozide stattgefunden haben, Vergewaltigungen, Folterungen- kann man das nicht mehr als „Kolonialismus“ bezeichnen. Das erstmal. Und das ist genau der Punkt. Die Art und Weise wie eine Epoche bezeichnet wird, wie die Geschichte erzählt wird, das hat eine Auswirkung auf die Gegenwart und auf das innere Befinden der Menschen. Und wir sprechen von ganzheitlicher Gesundheit. Man kann nicht gesund sein, wenn man immer noch unter den unter den Auswirkungen einer solchen Zerstörungen leidet. Und es gehört einfach zu der Menschenwürde sich damit beschäftigen zu können, sich an einem anderen Wiederaufbau [zu beteiligen]. Und Wiederaufbau das bedeutet natürlich auch materiellen Wiederaufbau, aber das hat auch eine spirituelle Dimension. Und solange alle Menschen, die irgendwie damit zu tun haben – unmittelbar oder direkt oder indirekt – sich nicht an solch einem Prozess beteiligen, dann kann man nicht von Gleichberechtigung sprechen; da kann man nicht einmal von Menschenwürde sprechen und noch weniger von Demokratie.

Es ist so schwierig überhaupt von Rassismus sprechen zu können! Es ist so schwierig sagen zu können, da ist Unheil passiert! Da sind Tragödien passiert. Geplante Genozide, geplante Folter, Massenfolterungen haben stattgefunden. Es ist so schwer das sagen zu dürfen! Und natürlich geht es auch um Fragen von “wie funktioniert Demokratie”, wie ist es möglich dafür zu sorgen dass alle Menschen sich an Prozessen beteiligen? Wie ist es mit Leadership?- diese Art von Fragen stellen sich. Aber ich glaube, dass es notwendig ist, sich diese Fragen zu stellen, damit ein gemeinsames, friedliches und auch fröhliches Zusammenleben möglich sein kann. 

Und in diesem Sinne, findet auch die UN Dekade für Menschen afrikanischer – also ich sag immer mit afrikanischen Wurzeln, das heißt eigentlich offiziell afrikanischer Abstammung- statt. Wichtig ist aber, dass Anerkennung, Gerechtigkeit, und Entwicklung die drei Pfeiler sind. Und bei Anerkennung und Gerechtigkeit geht es auch darum, Genozide die stattgefunden haben anzuerkennen. Und zwar Maßnahmen durchzuführen mit Beteiligung der betroffenen Communities. Und es ist höchste Zeit, dass es auch in Deutschland stattfindet. 

Und übrigens, wenn wir von der Beteiligung der entsprechenden Communities sprechen, ist es wichtig dass eine gleichberechtigte Beteiligung stattfindet. Das heißt, dass Frauen auch mitentscheiden können Und dass sie Zugang zu allen Bereichen der Verhandlungen, entsprechend der Resolution 1325 der UN für die Beteiligung von Frauen und für in allen Friedensprozessen und in allen Verhandlungen [haben]. Also das gilt auch für Ovaherero und Namas und ich glaube sie freuen sich schon drauf!


Dr. Marie Biloa Onana


Dr. Marie Biloa Onana ist Literaturwissenschaftlerin und Expertin für das kolonialrassistische Bild von Schwarzen Menschen in der deutschen Literaturgeschichte.

Dr. Marie Biloa Onana ist Literaturwissenschaftlerin und Expertin für das kolonialrassistische Bild von Schwarzen Menschen in der deutschen Literaturgeschichte.

Sie hat zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen und europäischen Literaturgeschichte u.a.: Der Sklavenaufstand von Haiti. Ethnische Differenz und Humanitätsideale in der Literatur des 19. Jahrhunderts (Böhlau-Verlag  2010). Sie ist zudem DaZ/DaF –Dozentin und Bildungsreferentin. Seit der Gründung von Berlin Postkolonial ist sie im Verein aktiv.

„Die Nachfahren Kolonisierter leben hier in Deutschland. Sie sind Teil dieser Gesellschaft. Sie haben ein Mitspracherecht.“

 - Dr. Marie Biloa Onana

„Die Nachfahren Kolonisierter leben hier in Deutschland. Sie sind Teil dieser Gesellschaft. Sie haben ein Mitspracherecht.“

 - Dr. Marie Biloa Onana

Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Was mir denn zum Humboldtforum einfällt: Beutekunst. Das Humboldtforum ist ja als ein großartiges kulturelles Projekt geplant, eine Art Kulturdialog, eine Art Plattform, in der Kulturen aus der ganzen Welt, darunter auch außereuropäische Kulturen ausgestellt werden. Das heißt, sie werden in Dialog miteinander treten. Das ist in dieser Welt von Verflechtung, von Kulturverflechtung eigentlich eine großartige Idee. Das Humboldtforum möchte aber auch die Sammlung des ethnologischen Museum und des Museum für asiatische Kunst übernehmen und das ist das Problematische daran. Die Sammlungen, die Objekte in diesen Museen sind überwiegend im Rahmen der kolonialen Eroberung, der kolonialen Enteignungspolitik und durch koloniale Gewaltaktionen erworben worden. Das heißt, ihre Herkunft ist dann problematisch. Also, was soll man hier haben? Will man einen Dialog auf Augenhöhe mit anderen Kulturen führen, dann sollte man sich erstmal mit der Herkunft dieser Objekte auseinandersetzen.

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Meine Antwort ist eindeutig ja, es geht ja hier um den allerersten Genozid des 20. Jahrhunderts, vor dem Genozid an den Armeniern. Und mit einem Vernichtungsbefehl sind so viele Menschen gestorben. Es gab ein Massaker und das kann man nicht übersehen. Und Menschen haben in Konzentrationslagern gelitten, sie haben das Schlimmste erlebt, sie haben ihre psychologische, soziale Sicherheit als Volksgemeinschaft verloren, sie haben fast alles Land und Vieh verloren. Und es ist auch für mich nur legitim, dass man über Reparationen, das heißt Wiedergutmachungsleistungen spricht. Die Nachfahren der überlebenden Hereros stellen auch diese Forderungen. Und dass man diese Frage noch offen lässt, zeigt nur, dass dieses Thema eigentlich immer noch verdrängt wird. Man kann diesen Genozid nicht einfach bagatellisieren. Ja, viele Leute sind bis heute noch gekränkt, weil die Bundesrepublik Deutschland sich den Verbrechen dieser Aktionen nicht stellen will – das heißt, das Unrecht anerkennen, sich entschuldigen, und auch versuchen die Überlebenden, also die Nachfahren irgendwie wieder aufzubauen. Und es ist wichtig [anzuerkennen], dass dieses Volk heute noch, indirekt, manchmal auch direkt darunter leidet. Sie brauchen Schulen, Infrastrukturen, sie brauchen vielerlei Sachen. Und eine Entschädigung, Reparaturen, wäre dann wirklich gut, in diesem Fall. Und nicht nur das. Es ist ein Zeichen, ja, ein Zeichen der Anerkennung der Opfer. Sie werden sonst einfach nicht beachtet. Und wenn man das macht, zeigt das dass man dieses Kapitel auch in die deutsche Geschichte integriert.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Die Antwort ist auch hier: ja, wenn man davon ausgeht, dass die Themen Rassismus, Kolonialismus und Sklavenhandel keine Fußnote mehr, oder kein Fauxpas in der deutschen Nationalgeschichte sind. Wenn man davon ausgeht, dass Rassismus mit dem Kolonialismus und Sklavenhandel, Sklaverei gerechtfertigt wurde, damals existiert hat und heute noch höchst aktuell ist, also wenn man davon ausgeht – und davon gehe ich hier aus -, dass diese Themen Bestandteil der deutschen Nationalgeschichte [sind], dann ist ein Denkmal für die Opfer von Rassismus, Kolonialismus, Sklavenhandel sehr sehr notwendig. Es ist sogar selbstverständlich! Es kann doch nicht wahr sein, dass Denkmäler für andere Opfer errichtet wurden, für die Opfer von Gewaltaktionen, von Ungerechtigkeiten, von Unrecht errichtet wurden, aber dass man die Opfer von Sklaverei, Kolonialismus und Sklavenhandel einfach nicht beachtet. Und das ist wiederum ein Zeichen, wie selektiv die Erinnerungspolitik hier ist, wie selektiv, wie lügenhaft diese Geschichte ist und wie man hier, wie man versucht, immer wieder versucht, dieses Kapitel einfach zu vergessen oder die Gewaltaktionen, die heute noch spürbar sind, zu bagatellisieren. Und es gibt hier und da viele vereinzelte Projekte, [die versuchen, die Erinnerung an die Opfer zu erhalten]. Wir haben einen – verzeihen Sie mir, dass ich das Wort sage – lächerlichen, wir haben einen lächerlichen Gedenkstein im Garnisonfriedhof in Neukölln, wo man den Opfern, den Herero gedenkt. Es ist so lächerlich das zu sehen, oder? Und, hier im Wedding gibt es das Afrikanische Viertel als Erinnerungsort. Das ist gut. Es gibt so viele Aktivitäten von der Schwarzen Community, die immer wieder versuchen, dieses Thema auch in der Geschichte zu betrachten. Aber sie brauchen noch, wir haben noch viel zu tun in diesem Sinne. Und deswegen wäre es sehr schön, wenn man jetzt endlich auch ein Denkmal für die Opfer von Sklaverei und Kolonialismus in Berlin hätte.

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Ich denke das ist moralisch nicht haltbar und es ist menschenverachtend, menschenunwürdig und aus heutiger demokratischer Sicht auch illegal und unrecht, ungerecht. Es sind da Körperteile, Überreste von Menschen, die unter den schlimmsten Bedingungen ermordet wurden, in Konzentrationslagern, in der Wüste, sie hatten nix zu essen, nix zu trinken, sie mussten verdursten, verhungern. Und dann wurden die Körperteile nach Deutschland gebracht. Und nicht zu vergessen: Es waren meist die Leute, die gegen das Regime, das koloniale Regime protestiert haben. Dass diese Körperteile nun in Museen sind, ist für mich ein weiterer Gewaltakt. Das heißt, ein Gewaltakt über den Tod hinaus. Man perpetuiert das Unrecht, die Gewalt. Was bedeutet es, wenn [diese Gebeine] immer noch in Deutschland sind? Damals, vermutet man, sollten diese Gebeine und Schädel für medizinische Forschungszwecke genutzt werden, was auch eine Unverschämtheit ist! Man wollte beweisen, dass die Schwarzen angeblich unterlegen, minderwertig sind. Ich denke man sollte diese Sachen, diese Schädel, diese Gebeine, Körperteile zurückbringen. Das ist nicht haltbar. Mehr kann ich nicht dazu sagen.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Ob ihre Perspektive wichtig ist bei der Auseinandersetzung mit Kolonialismus, bei Projekten und so weiter? Natürlich! Diese Leute, das heißt die Nachfahren Kolonisierter, leben hier in Deutschland, sie sind Teil der Gesellschaft, sie haben ein Mitspracherecht, ihre Stimme muss gehört werden, sie haben auch etwas zu sagen in der Gesellschaft, in der sie leben. Ihre Perspektive kann auch eine Erweiterung, eine Bereicherung [sein] und vielleicht neue Aspekte aufdecken. Und wenn man weiß, dass die dominante Erinnerungsperspektive so lückenhaft ist, so viele Lügen aufweist, dann ist diese Perspektive, diese andere Perspektive doch sehr schön, denn sie kann diese Lücken ausfüllen. Seitdem viele Initiativen aus der Schwarzen Community etwas in diesem Sinne machen, sind viele Sachen, die damals selbstverständlich waren, nun nicht mehr so selbstverständlich, weil sie in Frage gestellt, dekonstruiert wurden. Und ich denke, man sollte das nicht nur als Gegenerzählung, Gegenperspektive, sondern als eine Perspektive [anerkennen], die auch produktiv sein kann und die etwas ändern kann, entscheidend etwas ändern kann.


Mnyaka Sururu Mboro


Mnyaka Sururu Mboro geboren und aufgewachsen in Tansania, kam 1978 zum Studium nach Deutschland und blieb dann in Berlin. Er ist Vorstandsmitglied und Mitbegründer von Berlin Postkolonial e.V. und engagiert sich seit Jahrzehnten für eine kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus.

Mnyaka Sururu Mboro geboren und aufgewachsen in Tansania, kam 1978 zum Studium nach Deutschland und blieb dann in Berlin. Er ist Vorstandsmitglied und Mitbegründer von Berlin Postkolonial e.V. und engagiert sich seit Jahrzehnten für eine kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus.

Eines seiner zentralen Anliegen ist die Rückgabe menschlicher Gebeine, die während der deutschen Kolonialzeit verschleppt wurden und sich bis heute in den Sammlungsbeständen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte (BGAEU) sowie anderer Institutionen in ganz Deutschland befinden.

„Es geht nicht darum, die Geschichte auszulöschen. Es geht sogar darum, die Geschichte noch lebendiger zu machen - in kritischer Art.“

 - MNYAKA SURURU MBORO

„Es geht nicht darum, die Geschichte auszulöschen. Es geht sogar darum, die Geschichte noch lebendiger zu machen - in kritischer Art.“

 - MNYAKA SURURU MBORO


Welches Wort fällt Ihnen zum Humboldt Forum / Berliner Schloss ein?

Ich frage mich immer, warum wird das Schloss wieder gebaut? Geht es hier darum, die Kolonialisten zu ehren? Oder was wollen sie uns zeigen? Ich sehe, das ist nicht nur rassistisch. Für mich ist das hier sehr sehr colonialism. Ich würde das auch nicht als neuen colonialism betrachten, ich gehe von dem vergangenen colonialism aus und ich sehe viele, die immer noch diesen Gedanken im Kopf haben: Einen Platz an der Sonne wieder zu haben. 

Glauben Sie, Deutschland sollte an die vom Genozid 1904-08 betroffenen und damals enteigneten Herero und Nama-Gemeinschaften Reparationen zahlen?

Reparationen- ja, die müssen zahlen. Aber ich glaube, man hat uns immer noch nicht verstanden. Wir Afrikaner, wenn wir von Reparationen reden,  reden wir von mehr Entschuldigung. Und bei uns, wenn jemand einem anderen etwas Schlechtes tut, dann müssen die doch wieder zusammenkommen und er muss etwas zahlen. Entweder er bereitet so und so viel Trunk vor, zu dem die anderen auch zusammenkommen. Und dann, ja wirklich- dann sind wir wieder Freunde. Und man kann nicht nur mit leeren Worten damit umgehen. Immerhin geht es hier nicht um Reparationen, es geht um Entschuldigung! Wenn man sich schon entschuldigt hätte, würden wir vielleicht nicht so hart sein bezüglich der Reparationen. Aber immerhin was wollen wir als Reparationen eigentlich, wir Afrikaner? Wir wollen das Land, den Boden! Es ist für uns wie eine Mutter für ein Kind. Weil dieser Boden das ist, was uns ernährt. Und das wurde von uns weggenommen. Wie sollen wir uns ernähren? Wie sollen wir uns ernähren? Also wenn wir von Reparationen reden – in dieser Form- sollte man schon viel bedenken: Die, die das Land besetzen, und das ist ja über 80 Prozent, die, die das Land besetzen, müssen irgendwie finanziert werden, damit die das Land verlassen und das Land uns wieder zurückgeben. Und das sind die Reparationen von denen wir reden! Weil man hat uns ja noch nicht verstanden, von welchen Reparationen wir reden: Wir reden nicht von Cash! Unbedingt überhaupt nicht! Und Cash wäre sowieso überhaupt nicht akzeptabel, wenn wir das Land wieder von diesen Besetzern, die da sind zurück haben können! Ob man die Kolonialisten nennt oder nicht Kolonialisten nennt, aber für uns, wir Afrikaner sehen die als Kolonialisten. Weil das [Land], das haben die  von ihren Vorfahren, die echte deutsche Kolonialisten gewesen waren, geerbt. Oder wenn das jemand später gekauft hat, wie kann man so etwas tun?! Wenn man ganz genau weiß, wem das Land gehört?! Und man bedenkt auch  nicht: Wir sitzen daneben, wir haben gar kein Land und das kennen wir, das ist unser Land! Wir haben auch nicht mal genug um unsere Kinder zu ernähren und das ist unser Land! Und sollen wir nur so da sitzen? 

Und es geht hier mehr darum diplomatisch zu sein, wenn wir  von Reparationen reden, dass man weiß, was wir verlangen. Sonst könnte man auch wieder anders  damit umgehen und wir wollen gar nicht wieder irgendeinen Krieg anfangen und und und. Wir müssen eine Lösung finden! Und um dann die Lösung zu finden, kann man mit solchen Methoden von vornherein herangehen: Reparation ist sehr sehr sehr wichtig. Entschuldigung. Und dann sehen wir, wie  wir weiter zusammenkommen und zusammenarbeiten können.

Glauben Sie, dass in Berlin ein zentrales Mahnmal und ein Informationszentrum zum Versklavungshandel / Kolonialismus / Rassismus errichtet werden sollte?

Ich denke man sollte das auch errichten müssen. Weil es geht hier um die Geschichte. Es geht hier um diese ganzen historischen Ereignisse. Wir wollen, dass auch die späteren Generationen, davon lernen, was es ja wirklich war! Und wenn ich sehe- jetzt zum Beispiel hier in Deutschland, wenn ich versuche die Menschen hier zu fragen, ob die Deutschen auch Kolonialisten waren, sagen fast über 90 Prozent oder sogar mehr der Menschen: “Nein wir haben gar keine colonies gehabt”. Und wenn es schon so ein Denkmal da geben würde, würde es Menschen schon viel einfacher erreichen. 

Aber auch eine andere Begründung: Wenn ich hier sehe, dass es für alle diese historischen Ereignisse und für viele andere Sachen Denkmäler gibt, da ein Denkmal, da ein Denkmal; warum ist kein Denkmal für Versklavung, Kolonialismus und Rassismus da? Und da laufen wir Gefahr… Deswegen findest du die Pegidas, die so stark sind und und und. Weil die denken: “Jawohl, das war richtig was wir gemacht haben und das können wir auch noch machen”. Weil es gar keinen gibt, der das beurteilt. Gar keiner redet davon!

Was sagen Sie zu den zahlreichen menschlichen Gebeinen aus dem Globalen Süden in deutschen Museumssammlungen?

Ja ich frage mich, wenn man die Verstorbenen irgendwo in Depots, im Keller und im Regal lagert- ich frage mich: Ist das europäisch? Oder ist das christlich? Und wenn es so ist, wir Afrikaner aber, wir sind nicht so. Es ist egal wie die umgekommen sind. Obwohl wir wissen, meistens wurden sie erhängt und geköpft und hierher gebracht für rassistische Forschungen. Aber es wäre Zeit, dass man die zurückbringt  und auch die Kosten übernimmt und das möchte ich bekräftigen, damit wir unsere Toten nach unserem Ritual und Traditionen beerdigen können. Weil für uns ist es sehr sehr sehr bedeutend. Und hier komme ich zu meinem Dorf, wo ich herkomme. Es gibt hier einen Kopf von unserem Mangi, Mangi ist ja der Häuptling, Meli. Er wurde erhängt von den Deutschen und geköpft und ist bis jetzt immer noch irgendwo hier in Deutschland. Und bei uns, wenn es Regenzeit ist und dann die Regen nicht kommen oder irgendeine Naturkatastrophe passiert, dann sagt man: Der Grund ist, dass wir unseren Mangi noch nicht beerdigen konnten. Außerdem, von den vielen Erinnerungen und und werden wir so traurig. Und es gibt bei uns viele, die nicht glauben, dass wirklich die Sachen hier im Regal sind. Wenn ich zuhause bin versuche ich das zu erzählen, aber die denken, dass ich nur Märchen erzähle, weil “die Europäer sehr sehr gute Christen sind und und und… und so kann man nicht mit dem Tod umgehen. Die sagen sogar von mir, dass ich versuche sie zu belügen, weil sie nicht in Europa sind. Und sogar die meisten von meinem Dorf… Damals als ich das erste Mal hierher kam, wurde ich auch von meiner Oma beauftragt, den Kopf von Mangi Meli zu suchen und ihn zurückzubringen. Dann haben die erwartet, und dann denken sie natürlich, dass ich nur versuche einen Umweg zu finden, sie belüge, weil ich mich nicht mehr darum kümmere. Und es ist traurig, aber es ist nun so. Und wirklich manchmal, wenn ich den Leuten da erzähle, versuche ich es ganz anders zu erzählen, das was sie hören wollen. Weil im Glauben, wie man hier [in Deutschland/Europa] mit Menschen umgeht und und und…  Es ist nicht so wie es hier [im Dorf] dargestellt ist.

Für wie wichtig halten Sie die (gleichberechtigte und konzeptionelle) Beteiligung der Nachfahren Kolonisierter an Maßnahmen zur Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit (Reparationsverhandlungen, Museen, Ausstellungen, Schulbuchdarstellungen, Straßenbenennungen, etc.)?

Wir haben schon vorher über ein Denkmal geredet, was es hier überhaupt nicht mal gibt. Im Gegenteil, was ich hier sehe sind diese ganzen diskriminierenden, rassistischen, kolonialistischen Straßennamen, die da sind. Die ehren sogar die Verbrecher, die meine Vorfahren kolonisiert haben, die werden hier geehrt. Und so wie ich auch gesagt habe, es glaubt gar keiner zuhause, dass es so ist. Also es ist sehr sehr sehr wichtig. Und der zweite Grund ist z.B. was wir, die Nachfahren von Kolonisierten, denken. Was ich denke oder wie ich das sehe: Man versucht mir zu sagen: “Ihr seid immer noch Kolonisierte!”. Und das ist das Bild, was ich sehe. Und deswegen verlangen wir die Umbenennung von diesen bestimmten Straßen, die die Kolonialisten ehren. Es geht nicht darum, die Geschichte auszulöschen, sondern es geht darum die Geschichte mehr noch lebendiger zu machen, weil wir das in der kritischen Art versuchen! Die Straßen sind da, die Namen sind da, aber die meisten, die wissen nicht. Diese Geschichte betrifft zwei Seiten, es betrifft nicht nur eine Seite. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie nur eine Seite das bearbeiten kann. Das ist mir… Es geht hier nicht um Demokratie und und und – überhaupt ja gar nicht! Es ist die Geschichte, es betrifft mich und dich! Also wir müssen da beide mitarbeiten. Meine… Du musst hören, wie ich mich fühle und ich höre wie du fühlst und wir bringen es zu Papier. Es ist unsere gemeinsame Geschichte, aber nicht einseitig! Und wenn es so einseitig ist, das bringt mich wieder zurück zur Kolonialzeit.